Über Jahrzehnte war Mauthausen so etwas wie die Schamstätte der Republik gewesen. Schulklassen, die für Ausflugstage leicht zu haben sind, waren auf das, was sie dort erwartet, nicht immer vorbereitet, und es konnte geschehen, dass sie dabei über österreichische Geschichte mehr erfuhren, als im Lehrplan vorgesehen war. Ich weiß von Eltern und Großeltern, denen es unangenehm war, wenn die Kinder vom Ausflug nach Mauthausen zurückkamen und Erbarmen für Menschen zeigten, für die ihnen selbst das Erbarmen, oder der Mut es auszusprechen, weitgehend gefehlt hatten.
Doch diese Phase der Scham, in der Mauthausen nichts tat, als immer noch da zu sein und allein dadurch die Gegenwart an ihre Abkunft aus der Barbarei zu erinnern, ist vorbei. Dass es so nicht weitergehen konnte, war schon lange durch ein viersprachiges Schild auf dem Parkplatz vor dem KZ-Museum angekündigt: "Die Gasthöfe von Mauthausen laden Sie ein." Die Initiative der Wirte, Touristen für ihren Trauerweg in die Vergangenheit mit der Freude gegenwärtiger Genüsse zu entschädigen, ist in den Waldheim-Jahren ein nationales Anliegen geworden. Es funktioniert so: Wir kümmern uns um die Herausstellung der Wunden unserer Vergangenheit und erwarten dafür von den anderen die Bestätigung, dass wir klasse Burschen sind. Im Schmerz lebt der Wunsch nach Freude, in der Mühe der nach Entschädigung. Neu ist, dass man nun beides gleichzeitig haben kann.
Bislang mussten im Konzentrationslager herumtollende Schüler damit rechnen, von anderen Besuchern zurechtgewiesen zu werden, denen der Ausdruck von Lebensfreude an diesem Ort unerträglich war. Solche Reaktionen sind weniger geworden, und sie werrden irgendwann ganz vorbei sein. Denn Mauthausen ist nicht länger der Ort des Schweigens, des stillen Gedenkens an die Ermordung von Menschen, an hilflose Schreie und an die Entsorgung von Leichen durch den Kamin. Mauthausen ist laut geworden. Mauthausen dröhnt über das Donautal und durch die Fernsehkanäle. Mauthausen ist aktiv.
© 2001, S. Fischer, Frankfurt/M.
Publikation mit freundlicher Genehmingung des Verlags.