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Leseprobe: Peter Handke - "Mündliches und Schriftliches."

Die Hexenmeisterin

Lange Zeit habe ich Marguerite Duras in ihren Schriften und Filmen als Meister (Meisterin?) der Zwischenräume gesehen. Ihr Schreiben und ihre Filme hatten mir Räume geöffnet und errichtet, Räume zwischen den Wesen und den Dingen und wieder den Wesen: geöffnet, errichtet, mehr noch , indem Duras sie öffnete, hat sie mich angezogen, in den Bann gezogen, mich den Leser, den Zuschauer.

Später, vielleicht mit India Song und dem Liebhaber (dem Buch), fühlte ich mich von ihrem Werk eher ausgeschlossen denn angezogen. Es schien mir, als hätte Marguerite Duras eine sensible und gefährliche Stelle überschritten: Sie hat die Zwischenräume nicht mehr frei gelassen. Sie hat sie gefüllt, hat diese magnetischen Felder mit Erklärungen gefüllt, mit Litaneien, mit dem Rauschen der Elemente (dem Wind, dem Meer), mit Liedern. Indem sie ihre Magie der Leere mit der expliziten Magie der Formen verdoppelte, hat die Duras dieser Zeit vielleicht wirklich den Raum verdoppelt, verdreifacht, vervielfacht, aber es war nur ihr Raum, ihr privater Raum; für mich, den Leser und Zuschauer, blieb nichts mehr: Raum Null. Ich hoffte immer, daß mir der Raum wieder geöffnet würde, wie in Nathalie Granger, Der Lastwagen, Die Kinder, Die Krankheit Tod. Statt dessen: Der Liebhaber. Dennoch sage ich mir heute, daß mein Eindruck (oder mein Gefühl) mich vielleicht getäuscht hat. Ich sage mir (in manchen Augenblicken): hat Marguerite Duras, indem sie die Schwelle zwischen dem geregelten Spiel der Literatur und des Kinos und dem dunklen Spiel der Magie und der Hexerei überschritt, nicht einen Weg eingeschlagen, der einstmals für alle, die mit Worten und Bildern arbeiteten, der natürlichste, der ursprünglichste gewesen ist?

Muß man nicht anerkennen, daß die Magie der Hexenmeisterin Duras immer die eines Erzählers (einer Erzählerin?) bleibt und daß diese Magie sich niemals in "Dämonismus" oder in Demagogie z. B. eines Politikers wandelt? Existiert nicht ein wesentlicher Unterschied zwischen dieser kindlichen Magierin und all diesen so erwachsenen Dämonen? Ich frage mich heute vor allem: ist nicht gerade dies das Geheimnis des beispiellosen Erfolgs von Marguerite Duras?: hat sie nicht am Ende diese Übereinkunft mit der Magie gefunden, ohne sie unaufhörlich zu kontrollieren, zu reglementieren oder sogar zurückzuweisen oder zu leugnen, so wie die meisten von uns, ihre "Mitstreiter"?

Dennoch lebt dieser magische Tanz auch in uns. Hat es mit Angst oder Schüchternheit zu tun, wenn die Geschichten von uns anderen es so schwer haben, ein Publikum anzurühren? Marguerite Duras oder der Sieg eines Künstlers des 20. Jahrhunderts über die Skrupel, sich der ewigen Magie zu bedienen? Ein heilsames Beispiel, das auch uns befreien könnte, uns andere. Letzte Frage: Dieses Spiel mit der Magie, befreit es oder zerstört es? Warum läuft es, funktioniert es, vibriert es immer mit Worten, mit Büchern, aber von Mal zu Mal weniger mit Bildern?

(S. 29f.)

© Peter Handke

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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