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Leseprobe: Traude Korosa - "Hannas Vermächtnis"

MARION

Sie liegt an den händen ans bett gebunden, in einem dieser dinger, die sie zynisch "gitterbett" nennen. eine schwester hat ihr erzählt, daß sie bei der einlieferung geschrien und getobt hätte, daran kann sie sich nicht mehr erinnern, nur mehr daran, daß sie aus dem fenster springen wollte.
sie haben sie umzingelt, alle miteinander haben sie sie umzingelt und sie überwältigt.
von ihrem gitterbett aus kann sie, wenn sie nur den kopf ein wenig nach links dreht, die lichter ihrer stadt sehen. in ihr ist marion geboren, hier hat sie ihre ersten schritte gemacht, direkt unter dem steinernen blick des stelzhammer franzl. hier ist sie zur schule gegangen, hat rüstzeug fürs leben eingehämmert bekommen, das sie genauso schnell wieder vergessen hat. in dieser stadt hat sie ihre vierundzwanzig jahre verbracht.
nun haben sie sie hierhergebracht in dieses haus, in dem man vergessen wird, in dem man aufhört zu sein, sie haben sie hierhergebracht, doch sie bleibt keinen tag, keine nacht länger!
sie schleicht zum aufzug, fährt ins parterre, huscht durch die endlos langen gänge, vorbei an den verschlossenen glastüren, hinter denen die menschen zu nummern, zu diagnosen werden, hinter denen sie die seelen mit tabletten einschläfern, die erinnerungen mit elektroschocks stehlen. nicht nach links sehen, nicht nach rechts sehen, nur geradeaus, immer nur geradeaus wie im märchen mit den zwölf zimmern. vorbei an der portiersloge, wo sie eine stimme mit der anderen verbinden, gespenstisch, unheimlich über sein und nichtsein entscheiden.
hinter dem sich die glastüre schließt, der ist vergessen, verloren, der ist nicht mehr. [...]
ihre feinde haben monatelang daran gearbeitet, bis sie soweit war. marion wohnte in einem hochhaus, von der unionstraße aus kann sie schon die fenster der wohnung erkennnen, das heißt "seiner" wohnung. ihr mann wohnt noch darin und ihr kind. er hat es jetzt auch geschafft, längere zeit schon wollte er das kind für sich allein haben und sie, den lästigen parasiten, loswerden. die leute im haus haben ihm dabei geholfen. die fürsorge haben sie verständigt, vor zwei monaten war das. marion ist allein gewesen mit dem kind, immer allein gewesen und immer hat es geschrien.
marion hat sich nicht wohlgefühlt, sie war krank und ungeduldig, da hat sie mit stofftieren nach dem kind geworfen, damit es endlich zu schreien aufhört. eine nachbarin ist spionieren gekommen, die wohnungstür war offen, dann hat sie die fürsorge verständigt. ja, so sind die! haben nur darauf gewartet. marion könne kein kind versorgen, haben sie behauptet, kaum daß es auf der welt war.

(S. 50f.)

© 2003, Triton, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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