Sonntage bedeuten Iris nicht mehr sehr viel, seit sie die Wochentage so gestalten kann, wie sie es möchte, im Gegenteil: sie hasst sie beinahe, das Wochenende bedeutet Stress in den Geschäften und Freizeitstress für die Familien, die dann in Scharen, mit Kind und Kegel und Hund und Katz in den Prater, den Wienerwald oder zu McDonalds pilgern. Meist geht sie vorsorglich bereits am Freitag einkaufen und verlässt bis Montag kaum oder nur kurz die Wohnung. Mit den Abenden geht es ihr ähnlich. Seit sie die Tage ausschließlich für sich nutzen und gestalten kann, hat sie wenig Lust abends auszugehen, außerdem lässt ihr geringes Budget das sowieso nicht allzu oft zu. Seltsam, dass sie ausgerechnet heute Simone begegnet ist, denkt sie, und beäugt sie von der Seite: Sie ist nach wie vor ins Gespräch mit ihren Freunden vertieft, mittlerweile geht es um Werkverträge und freie Dienstverhältnisse und Urlaubsersatz, Urlaubsersatz aus ihrem Munde klingt wie ein Hohn, aber nun ja ... Simone war diejenige, die ihr einige Tricks, die sie nunmehr gut gebrauchen kann, verraten hat, einige davon an der Grenze zur Kriminalität, nein, eigentlich in strengem Sinn überhaupt nicht an der Grenze, sondern ganz klar inmitten des strafbaren Bereiches. Überlebensstrategien nannte sie ihre kleinen Gaunereien, die da waren: zum Beispiel Fotos günstig ausarbeiten lassen. Also: Man fülle zwei Fototaschen aus, eine als simple Nachbestellung von 2 Fotos, die andere als Entwicklung eines ganzen Filmes, Standardformat, mit fingiertem Namen und Adresse, bewahre beide Abholcoupons auf, nach einer Woche sortiere man die ausgearbeiteten Fotos, die einem gefallen, aus und stecke sie zu den nachbestellten, die übrig gebliebene Tasche lege man zurück in die Lade, dort möge sie auf den St. Nimmerleins-Tag warten, und an der Kasse bezahle man dann die beiden nachbestellten Fotos, was nicht viel mehr als ein paar Cent ausmachen dürfte.
(S. 50 f)
© 2006, Bibliothek der Provinz, Weitra.