Die Rigipswand in ihrem Arbeitszimmer war nicht verputzt. Sie hatte gedacht, in einem Provisorium würde sie sich weniger lang festhalten lassen. Das Gegenteil war der Fall. In den meisten Gefängnissen gab es nackte Glühbirnen und kahle Wände. Es zog sie hinauf in dieses Gefängnis, zum Bügelbrett und dem Wäscheberg und dem Fenster mit dem Blick auf die Bahn. Der rote Triebwagen kannte keine Verspätung. Er fuhr und kam wieder, er fuhr und kam. Loslassen, zulassen. Loslassen, zulassen, das war es, was Daheimgebliebene zu lernen hatten. Wieder saß sie im Zug, fuhr heim und ließ zu. Ihr früheres Leben. Loslassen. Sie war eine geschätzte Mitarbeiterin gewesen. Sie war verantwortlich für die Durchführung von Projekten. Sie hatte Kostenvoranschläge eingeholt. Kalkuliert. Budgets erstellt. Geplant. Entwürfe geschrieben, Analysen und Berichte. Mitarbeitergespräche geführt. Mit Blumensträußen, Beteuerungen, Lob und Babywäsche hatte man sie verabschiedet in den Mutterschutz. Das bleibt dein Schreibtisch, den PC bekommst du wieder und hier noch eine Rose für die erstklassige Einschulung der Vertretung. Doch längst hatte man Ersatz für sie gefunden und war erstaunt. Wir dachten nicht, dass du wiederkommst. Die Auftragslage. Du verstehst. Dein Anspruch auf Behaltefrist. Mehr ist nicht drin. Und die neuen Programme und die neuen Geräte. Es verändert sich viel. Versteh uns nicht falsch. Aber dich brauchen die Deinen.
(S. 39f.)
© 2004, Otto Müller, Salzburg, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.