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Daniel Kehlmann: Ich und Kaminski.

Roman.
Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2004.
174 S; brosch.; Eur[A] 7,20.
ISBN 3-518-45653-9.

Link zur Leseprobe

Ein parasitäre Drohne ist er, die eine klebrige Schleimspur durch die Künstlerszene zieht. Doch auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten tanzen viele wie er und die meisten besser als der junge Journalist Sebastian Zöllner. Also holt sich sein Ego eine Menge Schrammen und blauer Flecken. Wie um sich für die narzisstischen Kränkungen zu rächen, pöbelt er alle an, die er ungestraft darf. Den Schaffner, die Kellnerin, die Pensionswirtin, bedeutungslose Amöben, wenn es um die Kunst geht.

Beseelt davon, einen Zipfelchen der Unsterblichkeit, um die die großen Malerfürsten rittern, zu erhaschen, macht er sich auf eine Reise in ein entlegenes Bergdorf. Dort lebt ein halbvergessener Künstler, Manuel Kaminski, lebt gerade noch. Sein Markenzeichen waren visionäre Spiegelbilder, die "Reflexionen", die er auf die Leinwand zauberte. Berühmt hat ihn allerdings das Apostroph "painted by a blind man" gemacht, denn angeblich hatte der Künstler sein Augenlicht bereits verloren, als er die Bilder malte.
Sebastian Zöllner versucht nun, sich zu seinem Biographen aufzuschwingen, denn er spekuliert damit, dass nach dem absehbaren Abgang des Künstlers eine Renaissance seiner Werke einsetzen wird und er dann das Zipfelchen Ruhm für sich reklamieren kann, nach dem es ihn so dürstet. Dann wird er, Sebastian Zöllner, im rechten Augenblick Kaminskis letzte Worte triumphierend aus der Tasche ziehen.

Die Reise in die Berge ist lang und beschwerlich, aber sie lohnt sich. Zöllner trifft den alten, kranken, blinden Kaminski, auch wenn seine Tochter Miriam wie eine Bulldogge über ihn wacht. Mag Sebastian Zöllner ein Kunstverständnis haben wie ein halbzerkauter Zahnstocher, was seine Mission angeht, ist er unerbittlich. Gewissenlos durchwühlt er Kaminskis Haus, findet das unvollendete Spätwerk des Malers im Keller und liest schamlos Briefe, die nicht für seine Augen bestimmt waren. Im rechten Augenblick schnappt er sich den greisen Künstler, packt ihn in dessen Auto, um ihn zu seiner tot geglaubten einzigen großen und wahren Liebe zu bringen.
Kitsch as Kitsch can, aber so lassen sich Mythen bilden - denkt wenigstens Sebastian Zöllner. In seinem Kopf entstehen schon die passenden Sätze für die Schlüsselszene in seinem Standardwerk über Manuel Kaminski. Wieder ist er auf einer beschwerlichen Reise, denn der Maler erweist sich als zäher Brocken, der ihm mit dem doppelt rücksichtslosen Egoismus des Künstlers und des Greises seinen Willen aufzwingt. Zum ersten Mal kommt so etwas wie Mitleid mit der Drohne auf, wie sie da zappelnd in den Seilen hängt. Das Buch, das Buch, das Buch, summt es in seinem Kopf.

Der Verdacht drängt sich auf, dass Daniel Kehlmann, der seine Figuren souverän zu zeichnen versteht, mit Sebastian Zöllner spielt wie die Katze mit der Maus. So hat er seinen ehrgeizigen, selbstsüchtigen Helden schlecht gegen die Widrigkeiten des Lebens gewappnet und ihm auch wahre Größe verweigert, die eine Niederlage vielleicht noch zum Schicksal werden ließe. Sebastian erlebt also ein Waterloo, als er Kaminski mit seiner verlorenen Liebe zusammenbringt. Anstelle einer verwertbaren Schlüsselszene für sein Buch erlebt er ein Fiasko. Die Geliebte hat den Maler glatt vergessen, hat nur mehr die allerblasseste Ahnung davon, dass sie einst zur Muse geküsst wurde. Sie hat sich für ein ganz alltägliches Familienleben entschieden und alles, was vorher war, aus dem Gedächtnis gestrichen.

Draußen vor der Tür aber wartet Miriam, die die beiden endlich eingeholt hat, und versetzt Sebastian Zöllner den Todesstoß. Manuel Kaminski, erklärt sie, hat seine letzten Worte längst dem berühmten Journalistenrivalen Hans Bahring vertraglich verpfändet. Es gibt also gar kein Standardwerk mehr zu schreiben. Ende, Schluss, aus. Die Würfel sind gefallen, das Zipfelchen Ruhm ist außer Reichweite geschnellt und jetzt endlich gestattet Daniel Kehlmann seinem Geschöpf einen winzigen Moment von tragischer Größe. Er führt Sebastian Zöllner an die Ufer der Nordsee. Dort steht er allein, mittellos, geschlagen, und übergibt seinen obsessiv zusammengetragenen Schatz, die Notizen und Kassetten über Kaminski, den Wellen.

Dem Autor ist ein wunderbares Buch gelungen. Herrlich leicht tupft er große Themen und existenzielle Fragen an, ob es nun um die Kunst geht, um Ruhm und Größe, die Nachwelt, das menschliche Streben nach Höherem, Sein und Schein. Obwohl der Autor selbst kaum dreißig Jahre alt ist, scheint er bereits tief in so manche Seele geschaut zu haben, und was entscheidend ist, er hat die unschätzbare Gabe, den Leser von Beginn an zu packen und bis zum Schluss nicht mehr loszulassen.

 

Anne Zauner
16. Februar 2005

Originalbeitrag

 

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