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Leseprobe: Engelbert Obernosterer - "Nach Tanzenberg"

Wir wissen, das Herannahen des Gefährts kündigt sich schon eine Weile vorher mit einem weithin hallenden Tatü-tata-tatütata an. Über die Berghänge hin breitet es sich aus und wird von den gegenüberliegenden Talflanken ins Dorf herüber reflektiert. Dann richten sich die Leute auf den Feldern auf, denn der Staatswagen muss jeden Augenblick seine gelbe Schnauze aus dem Radegund-Graben hervorschieben und seine ganze Länge ins Ebene herauswuchten, um auf der Geraden vor dem Dorf seine Kraft in Geschwindigkeit umzusetzen. Fürwahr sehenswert, wie souverän und herrisch er an Krautäckern und Kleinkram vorüber, vorüber auch an den ihm ungläubig nachstarrenden Feldarbeitern, den ersten Häusern zustrebt!
Das stets pünktliche, unbeirrbare, alle Witterungsunbilden gering achtende Gefährt ist eine der wenigen Konstanten innerhalb der Unberechenbarkeiten, mit denen die Einheimischen zu kämpfen haben. Der Respekt vor ihm drückt sich unter anderem darin aus, dass diejenigen, die seine Dienste in Anspruch nehmen wollen, eine gute Weile vor seinem Herannahen an einer der Haltestellen eintreffen und zwar in einer Kleidung, die eigentlich für religiöse Anlässe gedacht ist.
Ich selber habe das Gefährt bisher nur von Ferne, nämlich von den Hängen und Feldern unseres Hofes aus gesehen. Irgendwo im Steilen stehend, halte ich jedes Mal in den gleichförmigen Bewegungen inne und schaue ihm nach, wenn es tief unten, hin und wieder einen Bremsfurz ausstoßend, in den Radegundgraben eintaucht, um, nachdem es sich durch ein dichtes Waldstück aufwärts durchgekämpft hat, mit triumphalem Tatü-tata-tatü-tata sich in einer s-förmigen Schleife in die Ebene herauszuarbeiten.
Für einen Buben vom Berg ist es schwer vorstellbar, wie das Leben derer verläuft, die an heißen Sommertagen sich in die gepolsterten Sitze im schattigen Inneren eines Fahrzeugs zurücklehnen, dabei in ein saftiges Stück Obst beißen und ein paar Blicke in die der prallen Sonne ausgesetzten Hänge hinaufwerfen, wo punktklein sich die Leute vom Berg am Heu zu schaffen machen.
Jetzt aber ist es auch für mich so weit. An der Haltestelle unterhalb des Gasthof zur Post stehend, wende ich das Gesicht gegen den oberen Teil des Tales, von wo über die Dächer her bald irgendein Zeichen zu vernehmen sein müsste. Plötzlich wenden auch die Frauen ihre Köpfe in diese Richtung, denn ein fernes Dröhnen lässt die Luft über den Schindeldächern erzittern, sein Vibrieren erfasst die Dachrinnen, Fensterscheiben und alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Sich Bahn brechend stößt die blechgepanzerte Schnauze des Ungetüms hinter dem Hauseck hervor und biegt unter Glasglitzern und metallischem Gleissen herüber, direkt auf das Häufchen der Wartenden, die noch ein, zwei Schritte zurückweichen, zu.
Ein gewaltiger Auftritt! Vorne, wo sich eine Schulterbreite Öffnung aufgetan hat, führen drei metallene Stufen aufwärts auf einen Mann zu, der in einer blauen Uniform hinter dem Lenkrad thront und uns über den Oberrand einer dunklen Brille hin mustert. In einem der Sitze hinter ihm ein Einheimischer mit Sonntagshut, den Rucksack auf den Knien, mit den knotigen Händen hält er sich an der Stange am Oberrand des Vordersitzes fest. Auf der anderen Seite des Mittelganges hat ein älteres Pärchen in Wanderkleidung Platz genommen und äugt auf die kleine Menschenansammlung hinaus, aus der wiederum mehrere Augenpaare sich ins dunkle Innere hineinbohren, um den einen oder anderen Insassen zu erkennen und sich einen Reim darauf zu machen, wohin der wohl am schönsten Nachmittag kutschiere und was er dort zu erledigen habe.
Finster ist es im langen Schacht des Innenraumes, wenn man, aus dem grellen Nachmittagslicht hereinkommend, sich umsieht. Fünf, sechs Kopfsilhouetten heben sich von der etwas helleren, mit Dunst beschlagenen Scheibe ab, die Gesichter wenden sich durch die dunstbeschlagenen Scheiben zu den schemenhaften Figuren auf den Platz hinaus.
Als Hans und ich uns durch den Mittelgang nach hinten zwängen, nehmen sie uns ins Visier; mit fragenden Blicken tasten sie uns von Kopf bis Fuß ab. Weil vorne aber der Hochwürden über die Stufen herauf steigt und zwei halbe und eine ganze Fahrt nach Kötschach bezahlt, kann jeder der Neugierigen sich ausrechnen, wohin die Reise geht.
Der letzte der Einsteigenden hat die schwere Türe hinter sich zugeschlagen und verriegelt, über den aufbrummenden Motor hin gibt der Chauffeur seinen Willen kund, die Fahrt wieder aufzunehmen. Draußen weichen die Schemen der Frauen zurück, herinnen wird das Hämmern der Kolben als Erzittern des Fußbodens spürbar; es überträgt sich auf die mit dem Boden verschraubten Sitze, die nun zu vibrieren beginnen; als Höhepunkt der Kraftentwicklung gibt es einen Ruck, mit dem es alle Rücken in die Lehnen zurückpresst.
Hinten geraten die erhobene Hände und Kopftücher der Zurückbleibenden aus den Fenstervierecken hinaus; Kirchturmkanten, Dachgiebel und Telegraphenmasten zerhacken die helle Flächen der hinteren Scheiben, die vom Dorfrand ins Grüne hinauslaufenden Wege beginnen sich heftiger zu krümmen, mit dem Hoch und Tief der Fahrrinnen wackeln auch die in Reihen stehenden Hiefler unterhalb der Straße mit, sogar der Frohnhügel samt seinen in den Hang geduckten Gebäuden verliert mehr und mehr an Festigkeit, denn er wird von der zunehmenden Beschleunigung durchgerüttelt und schon beim Einbiegen in den ersten Graben von einer Baumgruppe verdeckt.
Mit beiden Händen halte ich mich am Metallrohr des Vordersitzes fest, denn das Gefährt rüttelt und schüttelt die Insassen durch, schlenkert sie hin und her und staut so manche prächtig geradeaus gehende Fahrt jäh zu einer Gefahr ankündigenden Langsamkeit auf. Aus allen Zahnrädern und Kolben knurrend geht es in den nächsten Graben hinein, rumpelnd über Holzbrücken hin, von denen aus in die Tiefe äugend der Blick schier keinen Boden mehr erreicht. Im darauf folgenden Anstieg aber lässt das unbeirrbare Gefährt sein triumphales Tatü-tata-tatütata aus dem Trichter der Schlucht ertönen. Dem Chauffeur sträubt es die angegrauten Haarfedern über die Ohren hinaus, während er zwischen den seitlich hereinfuchtelnden Fichtenwedeln durch sich in die hellen Felder hinauszwängt: ein Freiheitsheld im Kampf gegen Ausweglosigkeit, Stillstand und Verwurzelung.

© 2007 Kitab Verlag, Klagenfurt.

 

 

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