Die Bauernfamilie sitzt, nachdem die morgendliche Stallarbeit erledigt ist, beim Frühstück, als meine Nichte, auf dem Arm ihren kleinen noch verschlafenen Vivian, in die Küche tritt. Er ist für sein Alter sehr stämmig: ein Bauer, könnte man sagen, obwohl der Vater ein Student aus der Stadt ist.
Vivian ist ein braver Esser. Alles was ihm vorgesetzt wird, stopft er mit beiden Patschhändchen in sich hinein. Nachher lässt er sich willig auf den Topf setzen, nimmt einen nachdenklichen Gesichtsausdruck an, wird rot bis in die vorgewölbten Backen und steht auf. "Brav, Vivian, sehr brav!", loben die begeistert herbeigeeilten Frauen den prächtigen, warm dunstenden Haufen. Nachher sagt Vivian "Bauer", worauf seine Mutter die Plastiktasche mit dem Spielzeug-Bauernhof auspackt: Silos, Garagen, Traktoren mit Anhängern. In derselben Tasche gibt es auch Bücher, die in Reihe daherwatschelnde Gänse zeigen, hinter einem Busch lauert ein Fuchs.
Vieles von dem, was dem Kleinen vorgelegt und erklärt wird, kann man auf den Höfen nicht mehr finden. Trostloser, trauriger fallen die Tiere außerhalb der Kinderbücher aus. Schwerfällig und wie wenn sie wunde Klauen hätten, tappen die Kühe abends, mit den Eutern fast den Boden streifend, den Ställen zu. Der Kleine demonstriert an ihnen schon seine Macht, indem er ihnen mit dem Stecken nachfuchtelt.
(S. 30)
Farblich tritt diese Es als Grün in Erscheinung, als Feld- und Wiesengrün, das ab dem ersten zaghaften Sprießen im Frühjahr alle Kräfte der Bauernfamilie in sich verstrickt. Wohl wird es dem Herbst zu bräunlich und bevor Reif und Schnee sich drüberlegen, fast grau, aber selbst in dieser Zeit hält es die Bauersleute an sich gekettet, weil das Heu von den Schuppen in den Stadel gebracht, das Vieh zweimal am Tag gefüttert und der Mist auf die Felder geführt werden muss.
Die Sommergäste bewundern dieses Grün, das in den Höhenlagen mit kargen, trockenen Böden eine ockerfarbene Beimischung erhält. Schön erscheint es auf den Ansichtskarten und in den Fotobänden, wenn der Fotograf sein Geschäft versteht und aus dem ökonomischen Niedergang entrückende, in sich stimmige Bilder aufbaut. Deshalb halten sich auch die Einheimischen in ihrem Selbstbewusstsein lieber an gelungene Kunstfotos als an das, was ihnen täglich zustößt. Die grünen Weiten sind für sie immer nur für kurze Momente schön, etwa nachdem eine Wiese abgeerntet ist und die Familie sich zu einer wohlverdienten Rast niederlässt. Schön erscheinen in solchen Momenten die Berge, die, jeden Nutzungsversuch abschüttelnd, über die von Vieh zertrampelten Almen und abgeschabten Bergwiesen aufsteigen - schön der Talboden mit den bequem zu bearbeitenden Feldern - schön die Kirche, wie sie mit ihrem sich mehr und mehr aus der Materie lösenden Turm das Gedränge der Nutzbauten verlässt und hinausweist über die Kreisläufe von Heu, Vieh, Mist und wieder Heu. "Weg, nichts wie weg!", stachelt der Turm die Jungen auf, freilich ohne ihnen einen Ausweg zu zeigen, und es mag wohl auch in den ruhig und ergeben Gewordenen eine Sehnsucht nach etwas Übersteigendem wachgeblieben sein, weil die Kirche um so viel größer und prunkvoller gestaltet ist als die übrigen Bauten des Dorfes.
(S. 108)
© 2001, Sisyphus, Klagenfurt.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.