Gerhard Jaschke
Adolf Wölfli, Unglücksfall, oder
Der Verrückte Sirius-Zorn-Riesenstern in vollster Pracht Vom Naturforscher zum Direktor der Allgebra und Geographie-Hefter-Fabrikation
Im Vorwort seines bahnbrechenden Werks Ein Geisteskranker als Künstler - Adolf Wölfli (1921) legte Walter Morgenthaler bereits programmatisch fest: "Wenn man den Urwald eines Menschenlebens wie das vorliegende mit den Straßensystemen verschiedener Wissenschaften in Zusammenhang bringen will, so ist es nur eine scheinbare Exaktheit, wenn man seine Hauptaufgabe darin erblickt, die Straßenbezeichnungen bestimmter Wissenschaften oder gar die Namen einzelner Autoren an die entsprechenden Bäume des Urwaldes festzunageln." Und weiter: "Bei unserm Kranken scheint mir die Natur ein großes Experiment gemacht zu haben."
Eine Logisfrau sagte treffend, Wölfli habe immer etwas gehabt, "man wußte aber nicht, ob etwas zu viel oder etwas zu wenig". Im Jahr des Erscheinens der ersten deutschen Ausgabe von Huysmans Gegen den Strich, ein Jahr vor Prinzhorns Sammlung der Bildnerei der Geisteskranken, macht Morgenthaler, der in der Irrenanstalt der Waldau als Arzt beschäftigt ist, erstmals mit diesem gigantischen Kosmos Adolf Wölfli bekannt. Was hat dieser Einzelgänger des Lebens und Außenseiter der Kunst in seiner sieben Quadratmeter großen Zelle in über dreißig Jahren doch nicht alles geschaffen! Ein ganzes Universum liefert er in seinen Bildteppichen wilder Ornamentik, ein Gebirge von einem Werk, so Eva Demski. Wölfli erschuf eine Welt, in deren Dienst er alle Künste stellte. Ein frühes Gesamtkunstwerk! Auf der documenta 1972 erregte es größtes Aufsehen. Harald Szeemann hob den Schatz. (S. 71)
Christian Loidl
William S. Burroughs. Eine Wiederholung
Burroughs hat nicht nur Metaphern geschaffen, sondern
lebendige Generationen mit einem eigenen Willen.
Allen Ginsberg, 1976
1953 erschien als Ace-Paperback der Roman Junkie von einem gewissen William Lee (Lee war der Geburtsort von Burroughs' Mutter Laura), im Untertitel: Bekenntnisse eines unbekehrten Süchtigen. Die Romantik früherer "Bekenner" - Thomas de Quincey und Fitz Hugh Ludlow - tritt in Junkie ausgesprochen dezent und kühl auf, ohne Idealisierung des Milieus von Waffen- und Rauschgifthändlern, Süchtigen, Taschendieben, Prostituierten und Kriminalbeamten. Daß das Buch, anfänglich unbeachtet, später ein Stück Literaturgeschichte wurde, hängt mit dem Tabucharakter des Themas mindestens ebensosehr zusammen wie mit Burroughs Dichter-Ingenium. Als moralische Rechtfertigung für die Kühnheit, einen Junkie sein Licht ins Schwarzweiß der WASP-Öffentlichkeit werden zu lassen, packte der Verlag in denselben Band gleich noch ein zweites Drogenbuch, von einem ehemaligen Rauschgiftfahnder.
In seinem Blick auf die Suchtwelt ist schon der frühe Burroughs der alte Doktor (eine in seinen Büchern und Interviews bis heute häufig wiederkehrende Persona): voller lakonisch ausgedrücktem Verständnis für den Husten der Junkies, skalpellscharf in Wortwahl und Syntax, in den Bildern streng wie eine Kamera. Allen Ginsberg lobt "das enorme soziologische Verständnis, die kulturrevolutionäre Haltung gegenüber Bürokratie und Gesetz, den stoischen Humor", Werte, die Burroughs durch sein ganzes Werk erhalten geblieben sind - zusätzlich zu einem poetischen Feinst-Sensorium mit Freude am Rohen, vitriolischem Witz und der katzenfreundlichen Traumkraft, die Breton bisweilen vermissen ließ. "Ich lächelte. Sie haben jemand anderes erwartet, nicht?" (S. 271)
© 1999, Edition Selene, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.