"Ich lebe im Schweizerhof, dem ältesten Teil des Gebäudes, und wie die meisten Mieter habe ich meine Wohnung von den Eltern übernommen. (Mein Vater erhielt sie nach dem Krieg als Direktor des Museums für Völkerkunde, das sich in der angebauten Neuen Hofburg befindet.) Ich bin daher in der Hofburg aufgewachsen und finde mich in ihr zurecht wie kaum jemand.
Je näher wir unserem Ziel kamen, desto mehr Polizeifahrzeuge standen auf der Straße, voller Ungeduld stieg ich beim Hotel Sacher aus und lief zu Fuß weiter. Ich nahm sofort den Brandgeruch wahr wie etwas Tödliches, nicht mehr rückgängig zu Machendes. Mit klopfendem Herzen eilte ich weiter und bemerkte erst jetzt die schwarzen Rauchschwaden an dem vom Feuerschein rot gefärbten Himmel. Mehr und mehr Nachtschwärmer bevölkerten, angezogen vom Brand, die Gehsteige. Inzwischen war es zwei Uhr geworden. An einer Absperrung erfuhr ich, daß der Josefsplatz gesperrt sei, da man befürchte, daß die Steinskulpturen auf dem Gesims herunterstürzten. Ich benutzte jedoch einen Seiteneingang zum Redoutentrakt neben der Stallburg und der Nationalbibliothek und erreichte unbemerkt eines der Tore zum Platz, über den Feuerwehrmänner liefen. In diesem Augenblick geschah etwas Seltsames. Während ich entsetzt zu den Flammen hinaufstierte, die aus dem Dach tobten, fiel lautlos, und ohne daß ein Grund dafür zu erkennen war, dichter Feuerregen. Es sah aus, als lebten die Funken, als hätten sie Flügel und schwebten langsam durch die Luft. Andere wirbelten hoch und verloschen wieder, noch andere lösten sich aus den Flammen und bildeten bedrohliche Schwärme über den Gebäudedächern, als seien sie giftige Leuchtkäfer. Der Gestank war so heftig und der Rauch so dicht, daß ich mich hustend und keuchend in das Gebäude zurückzog, um gleich darauf wieder hinauszutreten. Die Frage war nur, auf welchen Teil der Hofburg das Feuer als nächstes übergreifen würde.
(S. 27 f.)
© 2004, S. Fischer Verlag, Frankfurt / M.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.