Hier ..., das ist die Wildnis. Im Moos, im Gras und schwarzen Laub wird jeder Schritt leiser. Und das hier, das ist die Straße, die neue, erst im Frühjahr ins Dickicht geschlagene Erdstraße, auf der brüchiger Lehm, Steine und Sand noch so lose und unverbunden liegen, daß unsere Schritte knirschen wie im Brucheis. Selbst die Hunde hört man laufen. Castor! Pollux! Hierher!
Wie dunkel es ist. Neumond. Über den Oliven, den Akazien und Maulbeerbäumen frühsommerliche, zirpende Finsternis. Pollux! Diese schwarzen, wie Scherenschnitte gereihten Palisaden dort drüben, das müssen die Pappelzeilen hinter den Teichen sein. Und die Lanzen und Schlachtmesser dort oben, genau unter dem Sternbild des Großen Bären, das ist die Zypressenallee. Nirgendwo ein erleuchtetes Fenster. Kein Widerschein einer Stadt. Nur einige versprengte Lichtfunken von Barjac, dem nächsten Dorf.
Selbst aus der Nähe ist Anselm Kiefer, der Gastgeber, der uns durch sein nachtdunkles Land im Süden Frankreichs vorangeht, kaum zu erkennen. Manchmal folgen wir bloß einer Stimme, dem Geräusch sich entfernender Schritte, einem schmalen Schatten. Nur wenige von uns kennen diesen Weg, und kaum einer hat ihn je bei Neumond beschritten ...
(S. 7f)
© 2002, S. Fischer Verlag, Frankfurt / M.