Die Nationalbibliothek (Erinnerungsfragmente)
Verschwitzt und mit stechenden Kopfschmerzen wachte er auf. Der Bildschirm vor seinem Sitz zeigte unverändert die leuchtende Karte mit der Flugroute von Europa nach Japan: Das neonblaue Meer, die atlasbraune Erde und das pfeilförmige, weiße Flugzeugsymbol, hinter dem ein orangefarbener Streifen die Strecke markierte, die sie zurückgelegt hatten. Da viele Monitore im Airbus über den Sitzen angebracht waren, sah er dasselbe Bild mehrfach im Dämmerlicht. Feldt blicht sich um, weil er sichergehen wollte, daß er nicht beobachtet wurde, dann holte er eine viereckige, durchsichtige Kunststoffhülle, wie sie für Scheckkarten verwendet wird, aus der Jackentasche heraus. Durch die Lampe über seinem Sitz spiegelte sich ein Auge groß in der Innenfläche seiner Brille. Unter der reflektierten durchsichtigen Iris erkannte er den briefmarkenähnlichen Papierausriß, auf dem deutlich mit blauer Tinte und in schwer entzifferbarer Schrift vier Worte zu lesen waren, die für einen Außenstehenden keinen Sinn ergaben, noch dazu, falls er nicht lateinisch konnte. Feldt hatte das beschriebene Stückchen Papier in der Flugzeugtoilette schon einmal aus der Kunststoffhülle herausgenommen und in einem Anfall grimmiger Selbstquälerei überlegt, es in der Klosettmuschel hinunterzuspülen. Er wäre damit sein Problem zwar mit einem Schlag losgeworden, aber die Vorstellung, zurückkehren zu müssen zu seinen alten Verhältnissen, hielt ihn davon ab. Er steckte die Plastikhülle mit dem beschriebenen Papierstückchen wieder in seine Jacke, schloß die Augen und ließ seine Gedanken dahintreiben wie Papierschiffchen, die Kinder von einer Brücke in den Fluß werden, um sie davonschwimmen zu sehen, bis sie aus dem Blickfeld verschwinden. (S. 8f.)
© 1998, S. Fischer, Frankfurt / Main.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.