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Leseprobe: David Schalko - "Wir lassen uns gehen."

Mottenfänger

In meiner Kindheit hat man ständig Dinge in Schränken versteckt: Stereoanlagen, Fernsehapparate, Telefone, Vaters Silbermünzen, Spirituosen, ja, und meine Großmutter verbarg dort sogar die Vergangenheit, über die sie mit keinem reden wollte. Als sie dann starb und wir Kinder und Eltern in einem Akt der familiären Solidarität den modrigen Schrank – der roch, wie nur Schränke von toten Großmüttern riechen können – ausräumten, fiel es uns wie Schuppen von den Augen.

"Wie Schuppen von den Augen?" Als hätte irgendjemand, den ich kannte, je Schuppen auf den Augen gehabt. Hätte in unserer Familie jemand darunter gelitten, dann hätte man auch diese in irgendeinem Schrank für seltsame Hautkrankheiten versteckt. Auf jeden Fall fiel uns die Lade herunter, was bei den Einbauschrank-Obsessionen meiner Familie wahrscheinlich die entsprechendere Formulierung wäre.

Fein säuberlich hing sie dort, noch immer den chemischen Duft einer Reinigungsfirma verbreitend, die bereits in den 50ern Pleite gegangen war. Nostalgisch und penetrant. Die SS-Uniform meines Großvaters. Da standen wir also – solidarisch, wie Familien nur zu Begräbnissen werden und konnten niemanden mehr fragen, was diese verdammte Jacke dort zu suchen hatte. Stattdessen: Das peinlich berührte Schweigen einer österreichischen Familie, die es bis zu diesem Tage geschafft hatte, die meisten Angelegenheiten des Lebens in Einbauschränken unterzubringen.
Eine solche Verdrängung des Alltäglichen wäre in den meisten anderen europäischen Städten schon aufgrund der durchschnittlichen Wohnungsgröße nicht möglich gewesen. Nehmen Sie London oder Amsterdam – kein Platz für Lagerungen dieses Ausmaßes, und das ist vielleicht mit ein Grund für den unbändigen Drang, seine Schränke in anderen Ländern aufzustellen. Aber in Österreich – wo man nicht umsonst stolz auf eines der dichtesten Kanalisationsnetze der Welt ist – verstaut man alles im eigenen Land, und kein Verdauungsapparat der Welt könnte das, was ...
"Sie riecht eigenartig", brach meine Mutter das Schweigen.
"Sollen wir sie waschen?", entgegnete mein Vater. "Ich weiß nicht."
"Lass sie mal hängen."
"Wir haben noch den ganzen Keller vor uns", meinte meine Mutter. Und mein Vater nickte und wartete, dass sich einer von uns von der Stelle rührte. Aber keiner rührte sich, als übte diese penetrant riechende SS-Uniform noch immer Befehlsgewalt aus." (...)
(S. 118f.)

© 2007 Czernin Verlag, Wien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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