Nach einer Woche im Iran blieben eher fast unübersehbar viele Gedankensplitter, kaum Eindrücke, die einem nahegingen, eingingen. Man hat einen anderen Blick, wenn man die ganze Zeit untereinander Positionen verhandelt und damit beschäftigt ist, alle vorgefaßten Meinungen wieder zu vergessen und dieses Andere zu begreifen; das Fremde bleibt fremd, seltsam uneigentlich, es hielt einen in der Rolle des Beobachters, nicht des Betrachters. Wir waren als Intellektuelle gefragt, weniger als Schriftsteller, wurden von einer Diskussion zur anderen geführt und redeten, redeten bis in die Nacht mit einem stündlich wechselnden Gegenüber, wandernde Akteure auf einer politisierten Bühne, ebensooft aber auch Publikum; wir antworteten auf Stichworte und suchten hinter den Kulissen nach einem Plot, einer Einheit der Handlung und der Zeit. Oder selbst noch nach der eines Ortes.
Nein, Teheran war weder Damaskus noch Bagdad; es erinnerte weit mehr an Athen, ebenso zersiedelt, der Verkehr chaotisch und Dreck in der Luft, die Straßen jedoch ungleich sauberer und die Schilder überall wie selbstverständlich zweisprachig, Englisch unter den arabischen Schriftzeichen. Sie ließen einen leicht übersehen, daß das Persische der Zoroaster selbst eine uralte indoeuropäische Sprache war und das Arabische historisch ebenso aufgezwungen war wie auch der Islam. Den Iran mit ihnen gleichzusetzen hieß, ihn mißzuverstehen und der typisch westlichen Legasthenie zu verfallen, die zwischen Iran und Irak keinen Unterschied herauslas; dagegen wehrte man sich hier um so berechtigter, als die Vergleiche mit Europa weit näher lagen. Die Atmosphäre in der Stadt glich vielmehr der eines Griechenlands Anfang der 70er Jahre, das sich noch abzufinden hatte mit der Diktatur, doch im Bewußtsein, daß das Ende bereits irgendwie absehbar sein mußte.
(S. 279)
© 2005, Carl Hanser Verlag, München - Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.