Zunächst ist da das Bild einer Stadt ohne Menschen (so scheint es aus der Entfernung, nach diesem Zeitmaß), niemand stellt sich den Blicken entgegen; da sind nur Häuser aus Lehm und Straßen, durch die sich der Sand schiebt, in Schichten von unterschiedlicher Dichte und Festigkeit; flüchtige weiche Muster, Schleifen und Spiralen formen sich, Riffe und Wellenkämme steigen für einen Augenblick aus der Tiefe auf, um dann zu brechen und wieder zu versinken, die Grenze zwischen Boden und Luft verschwindet; in gelben Wolken treiben die Sandkörner, endlose Insektenschwärme, durch die Gassen, Dünen schieben sich an die Mauern und Tore heran, klettern sie hoch. Eine Stadt mit verschiedenen Namen, ineinandergeschichtete Bilder: In Salah, die Stadt mit dem Namen Salziges Auge, die langsam, vom Wind getrieben, weiterwandert, denn während am einen Ende der Stadt die Häuser unter der Wüste versinken, entstehen sie am anderen immer neu; Ghadames, wie ein einziger verwinkelter Bau, vor Jahrtausenden in einen Felsen eingeschnitzt, die Stadt der Schatten; dann Tombuctoo, umkreist von Ruinen, mit gleichförmigen Häusern, die sich unter den wiederkehrenden Stürmen ducken, mit Straßen, die von Jahr zu Jahr ansteigen, als wollte die Wüste sich an die Stelle der Menschen setzen, in die Innenräume vordringen, sie ausfüllen, ersticken und bewahren. So können (der Kamerablick ist nach Belieben zu beschleunigen und zu verlangsamen, reicht ins beliebig Nahe oder Ferne, holt das Zukünftige oder das Vergangene heran, schiebt es wieder fort) die Türen mit ihren Ziernägeln und Eisenbeschlägen einmal zu halb verschütteten Höhleneingängen werden; wenn wir die Häuser (mit ihren engen Holzstiegen, den langgezogenen schmalen Zimmern, den Fenstern in die Innenhöfe) durchstreifen, so meinen wir, sind die Mosaikböden unsichtbar und die Teppiche zerfallen, wir versinken mit den Füßen im Sand, wirbeln kleine Fontänen von Sand auf, atmen (falls wir noch Atemluft brauchen) den Sand ein. Stimmen lösen sich dann aus dem Schweigen oder dem Lärm, in dem sie verborgen waren, von dem sie immer angezogen bleiben, Geschichten oder Fetzen von Geschichten, nicht für unsere Ohren bestimmt, nicht in unserer Sprache erzählt, ein Reden, das sich durch die Jahrhunderte zieht und sich in den Jahrhunderten verliert, ein Reden, in das schrille Klänge hineinschneiden, aber sonst (ein Husten, ein Stich in die Tiefe der Lunge) bleiben wir ja blind, taub, ohne jede Macht.
(S. 5f.)
© 2004, Droschl, Graz, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.