30. 11. 83
Die Immergrausgeschichte (Purgatorium)
Nachdem ich die ärgste Fleischangst abgestickt hatte, konnte ich wenigstens zwischen zwei Schlagerdummheiten aufsummen, kurz aufhören mit der lustigen Qual und ausdrücklich sagen, daß ich mir ein neues Persönlichkeitsflußbett graben muß. Das Wasserbett, in dem es einmal fließen soll, wird wohl ein schon gehabtes sein, aber ein verbessertes - einfach ein Fleck mit viel mehr Möglichkeiten.
Kein wirkliches Wasserbett kann es geben, keine Richtigkeit, die man zur Erlösung hineinfressen könnte. Es ist mir schlecht geworden unter den Mutterbuchen, unter die ich glaubte zurückgekehrt zu sein. Mit dem mürben Schädel, der mir gekommen ist, konnte ich auch wirklich das Muttergrün herunterstürzen sehn, und ich wurde ein Landmann unter den Buchen, ein Mutterbuchenförster, der Buchenwälder anlegte.
Aus dem Stadtwald bin ich fortgelaufen - wohlweislich, wie ich dachte, nur früh genug, sagte ich immer - hinunter jetzt in den Buchensüden, nachschauen, ob der Stamm innen mein Fleischrot hat, und ob ich etwas ablesen kann aus dem Land, das mich herausgepreßt hat.
Als wir das Holz für den Feuerhautbau aus dem Kesselbauch herausrissen, stoplerte die Genauigkeit der Lichtverhältnisse und wir sahen weiße Flecken, die ihren Nistplatz vielleicht in unserem Bauchspeck hatten. Glaubten wir.
Sich mit solcher Stärke an die Zukunft erinnernd, hängt jeder Feuerhaut in die Bäume, haben wir gedacht, und trennt den Hunger vom Körnerfutter und die weißen Flecken, die uns den Rhythmus herausweiden, sind ja die Leichenflecken aus den Sterbebetten. Die gelbe Mattigkeit auf den welken Sippenlichtungen erzeugt sich also mit uns, aber ohne sich, und hatte unter dem Wappentiergefieder den abgebissenen Eigensitz.
Unsere Feuerstelle, rotschwarz bis in die Tränen der Augen, verlangte eine Haut, einen Hautbau für ein ewiges Licht. Das Feuer tröstete die geschmolzene Mitte ohne Eigensinn, und wir rannten gegen die Wirklichkeitskesselhänge und ließen uns hochfallen in das Kesselholz. Morsche, halbmorsche und viertelmorsche Prügel graduell übereinander, und der Prügelberg niedergebunden mit den am wütendsten durchbluteten Adern und den Farnkrautstengeln. Unter mir ein Sockel aus Baumschwämmen.
Die Rauchzeichen der ewigen Wärme beizten das Kesselrevier und saugten hinter den Augen. Wir hatten ein paar Tiere gefangen und hielten sie in die vollgefressene Glut. Als das Fell der Tiere in die Luft hinauf brannte, sahen sie der unebenen Oberfläche unserer Gedanken gleich. Die Tiere taten den lautesten Schrei, den sie hatten, als ihr Blut verdampfte. Das Glück in den Bäuchen der Opfertode geht in die größte Hitze des Himmels und wächst in das kaltstarre Ableben der Sterbebetten
... in die Gewürzsträuße der Gartenvergleiche
Verebbte aber die Schreischattierung, als sie das Feuer auf ihnen in ihnen erkannt hatten. Das Feuer beruhigte seine Bedeutung in die rotschwarze Heimeligkeit einer Dämmerung unter dem freigetretenen Himmel
(S. 169f.)
© 1999, Droschl, Graz, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.