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Leseprobe: Peter Truschner - "Schlangenkind."

Ich habe die Taktik meines Großvater, diese bauernschlaue Ausgabe einer Feldherrnstrategie, als Kind einfach mitbekommen, ohne genau zu wissen, worum es sich dabei eigentlich handelte. Heute weiß ich, warum meine Mutter im Laufe unserer eigenen heftigen Auseinandersetzungen (ich war zwölf, dreizehn) so häufig in der offenen Wunde unserer gemeinsamen Abstammung bohrte. Einmal packte sie mich an einem Ohr und zog mich vor den Spiegel im Vorzimmer. "Da! Schau dich nur an! Wie der Opa! Dieselbe durchtriebene Visage! Aber von dir laß' ich mich nicht fertigmachen, das schwör' ich dir!"
Ich richtete meine Augen auf meine Gesichtszüge und erblickte zu meiner eigenen Überraschung etwas, für das ich erst jetzt die rechten Worte finde: ein stolzes, unverhüllt bedrohliches Grinsen, das sich über wirklich jedes ihrer Worte hinwegsetzte und das sich beständig darin übte, ihre Existenz, wenn nötig, vollständig zu negieren. (S. 29f.)

Die Räume lasteten mit der Macht der Vergangenheit auf ihrer Brust. Jeder Atemzug, jedes Wort bereiteten ihr Schmerzen. Da sie das Atmen nicht einstellen konnte und sich ihrem Vater gegenüber auch kein Widerwort verkneifen konnte, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich so lange in Rage zu reden, bis sich der Schmerz nicht mehr an einem Punkt ihres Körpers - ihrer Brust, ihrem Kopf - lokalisieren ließ, sondern überall war. An diesem Punkt war sie nicht länger nur eine Gefangene des Raums, sondern auch der Zeit, und somit wieder zu jenem Mädchen geworden, für das ein Leben jenseits dieses Gefängnisse unerreichbar schien. (S. 42)

Je weniger wir uns sahen, desto mehr begann sie an unserer Geschichte zu schreiben und zu mir von dem Fluch zu sprechen, der auf uns lastete. "Wer in eine Familie wie die unsere hineingeboren wird, muß froh sein, wenn er es überlebt." Anhand der Schicksale anderer Insassen jener geschlossenen Abteilung, als die mir ihre Kindheit ihren Erzählungen zufolge erscheinen mußte, versuchte sie mir vor Augen zu führen, wie viel Glück ich noch gehabt hatte. "Zu meiner Zeit hat man Kinder, die unerwünscht waren, einfach vor dem Kloster abgelegt." (S. 161)

© 2001, Paul Zsolnay, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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