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Leseprobe: Andreas Weber - "So nicht!"

Engelbert fühlte Tränen in seine Augen steigen. Er starrte in die Nacht, hörte den Regen und hätte gerne darüber geweint, dass er den autobiografischen Roman seines Lebens nicht schreiben würde, weil ihm das Aufschreiben dieses Lebens unangemessen erschien, ebenso wie das Weinen über diese bedeutungslose Tatsache. Er empfand etwas wie Nachsicht gegenüber seiner selbstmitleidigen Sentimentalität, nach einer Weile Erleichterung über das Verklingen dieser Regungen verspürend, schlief er ein.
(S. 37f.)

Ohne ein Licht aufzudrehen, ging sie seit Christophs Tod oft durch die dunklen Räume.
Die Möbel standen da, als wären die Bewohner im Urlaub oder nur kurz aus dem Haus gegangen. Esther kannte sich mittlerweile hier aus.
Sie setzte sich in der Küche an den Tisch.
Sie legte sich im Schlafzimmer in das Doppelbett.
Sie legte im Kinderzimmer des Mädchens die Puppen aufs Bett und breitete ein Leichentuch darüber.
Dann sang sie in der nächtlichen Stille und spürte einen tiefen Frieden. Denn sie sass in der Nacht am Fenster. Sie war jetzt die Frau dieses Hauses. Nirgends auf der Welt gefiel es ihr besser als hier oben am Giebelfenster, aus dem sie in die Nacht sah, auf den unter ihr schlafenden Ort. Niemand würde sie von hier vertreiben können. Dieser Platz gehörte ihr.
Hinter ihr in der Finsternis stand der Schreibtisch. In einer der Laden lag ein Buch, das sie in einer Kiste im Keller bei den Sachen ihres Vaters gefunden und hier hineingelegt hatte. Die Seiten des Buches waren leer, als warteten sie darauf, von ihr beschrieben zu werden. Vater hatte kein Wort in dieses Buch geschrieben. Dieses Buch zu schreiben, war ihre Aufgabe. Sie würde damit beginnen, wenn die Zeit dazu gekommen war.
Esther stand auf, ging durch die Dunkelheit und holte dieses Buch. Sie setzte sich an den Schreibtisch und blätterte in dem Buch, dessen leere Seiten hell aus der Finsternis leuchteten. Irgendwann schlief sie ein und träumte von der Kabine in der Wiese am P.-See, in der ein Mörder ihren Vater gefunden hatte. Sie setzte sich auf den Balken, auf dem Vater gestorben war und sah aus der offenen Kabinentür in die Nacht. Esther erwachte, als sie hörte, wie jemand unten die Tür aufriss.
Schritte kamen die Treppe herauf, doch sie hatte keine Angst vor der Dunkelheit, aus der in ihrem Rücken schwer atmend ihre Mutter trat. Dora sah auf den Rücken ihrer Tochter und schrie sie an: "Was tust du hier?"
Esther sah aus ihrem Buch auf, drehte sich um und sagte: "Ich lese."
(S. 76f.)

Endlich sah ich den Trauerzug, der sich auf der Landstrasse schwarz aus dem Ort zum Friedhof heraufwalzte. Das mussten Tausende sein (?), aber wem sage ich das? Ein paar Männer in Schlosserkleidung luden Gitter von einem auf der Strasse stehenden Lastwagen und stellten sie als Absperrungen rund um das ausgehobene Grab auf. Kränze und Gebinde türmten sich hinter der Grube und bis an die Friedhofsmauer. Hunderte Kränze, sag ich dir. Ich hätte am liebsten laut hinausgeschrien, was bei diesem Anblick in mir vorging. Journalisten und zwei Fernsehteams gingen im Hintergrund unauffällig in Stellung. Ein kleiner Bus hielt, Kinder in Sonntagskleidern stiegen aus und nahmen als Chor Aufstellung am Grubenrand. Der Chorleiter wedelte aufgeregter als die Kleinen mit seinem Dirigentenstab und zwang sie zum üben, immer wieder, bis endlich die Prozession mit dem Sarg eintraf.
Der Priester erledigte sein Ritual mit Würde. Alexandra mit schwarzem Schleier, der ihr Gesicht verbarg, ihre Eltern, meine Eltern, Verleger, Lektoren, Freunde, alle waren sie da und trauerten. Ich sah ihnen ins Gesicht und wäre fast geplatzt. Mir hat einmal einer erzählt, dass es ihn fast zerrissen hätte vor Glück, als er seinen Sohn unmittelbar nach der Geburt in den Händen hielt: genauso ging's mir da oben auf dem Dach dieses Friedhofshäuschens, noch nie in meinem Leben habe ich mein Leben auch nur annähernd so gespürt, noch nie war ich so verdammt lebendig wie in diesem Augenblick. Und als dann der Kinderchor zu singen begann, es geht ein Bi-ba-butze-Mann in unserem Kreis herum, hab ich mich da oben gewunden, musste meine Faust an die Lippen pressen, damit mir kein Schrei entkam, das alles war so verdammt geil! Bi-ba-butze-Mann, bi-ba-po und dazu der Sarg, der zu diesem Kinderlied in der Erde versank."
(S. 120f.)

© 2007 Picus Verlag, Wien.

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