"Jagen Sie immer den ganzen Tag hinter schönen Frauen her?"
Dillinger legte die Speisekarte beiseite und blickte Gloria Novotny an. Trotz ihrer anstrengenden Tätigkeit war sie frisch wie eine Frühlingswiese im Mai.
"Ich bin Versicherungsvertreter", lächelte Dillinger sie an, "und als ich Sie einsam und schutzlos in Ihrem putzigen Mercedes sitzen sah, da sagte ich mir, Johann, dieser Frau mußt du mit einer Police aus der Patsche helfen.Denn was passiert, wenn ihr jemand den süßen Wagen stiehlt! Der graue Schmutz der Straße würde dann Ihre Absätze berühren. Nein! Das darf und kann nicht sein!"
"Versicherungsvertreter sprechen ihre Klienten normalerweise an und verfolgen sie nicht den ganzen Tag lang!"
Sie hatte eine tiefe, vibrierende Stimme.
"Schauen Sie, das ist mein Problem. Ich bin einfach zu schüchtern. Darum bange ich jeden Tag um meinen Arbeitsplatz."
Gloria Novotny setzte sich ihm gegenüber und schob ihm ein Glas Sekt zu. Sie selbst trank Champagner. "Das löst vielleicht Ihre Zunge." [...]
"Sprechen wir uns doch morgen abend beim Essen aus", meinte er und reicht ihr ein Kärtchen: Johann Glück, Versicherungsvertreter.
"Wann und Wo?" hauchte die Göttin.
"Ich kenne einen Ort, an dem man ein phantastisches Steak bekommt und außerdem vollkommen ungestört ist."
"Kenne ich ihn auch? gurrte die Göttin.
"bei Ihnen."
Der Mann sagte: "Daraus wird wohl nichts!" Handschellen schlossen sich um Dillingers Handgelenke. Zwei graue Augen in einem pockennarbigen Gesicht fixierten Dillinger unter eine Hutkrempe hervor.
(S. 54f)
Ein Hüne wurde von einer unsichtbaren Faust gepackt und gegen das Stahltor geschleudert. Sein Hinterkopf prallte hart gegen das Metall. Es knirschte. Benommen rutschte er zu Boden. Aus seiner Schulter floß Blut. Der Kopf fiel auf die Brust. Der zweite Riese sprang in die Nische zurück. Seine Smith & Wesson spuckte Kugeln. Er schoß so ungezielt, daß er Dillinger nicht gefährdete, aber die nachstürmenden Verfolger hinter die Biegung trieb. Dillinger stieß mit den Füßen eine Tür auf und warf sich in den dunklen Raum. Seine linke Gesichtshälfte schmerzte stark. Auf seinem Hals spürte er das warme Blut. Er schlug die Türe zu, zog sich an der Wand hoch und schaltete das Licht ein. Er war in einen Aufenthaltsraum geraten. Sexhefte stapelten sich auf den Tischen. Ein Flipperautomat stand in einer Ecke. Auf einem Beistelltisch lagen Flaschen mit Resten schalen Biers. Den Boden bedeckten Zigarettenstummel. Gegenüber von Dillinger führte eine Türe aus dem Raum.
Dillinger zündete den nächsten Tennisball, öffnete kurz die Türe und warf ihn auf den Gang. Es ploppte, und der Spannteppich stand in Flammen. Dillinger rannte durch den Aufenthaltsraum. Hinter dem Ausgang lag ein riesiges Wohnzimmer. In einem steinernen Kamin knisterte ein wohliges Feuer. Die Klimaanlage sorgte trotz der sommerlichen Hitze für angenehme Kühle. Die Wände bedeckten alte in Leder gebundene Bücher, alte Stiche und noch ältere Ölbilder. In der Mitte genoß eine Chesterfield-Garnitur die angenehme Temperatur. Gegenüber thronte ein mächtiger, mit Schnitzereien und Einlegearbeiten verzierter Schreibtisch aus Ebenholz. Der Terminal, das Telefon und die Schreibgarnitur wirkten zierlich darauf. Alles war exakt eingerichtet. Jedes Ding hatte seinen rechten Platz.
(S. 184f)
(c) 1997, Reclam, Leipzig.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.