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Joseph Roth: Hiob

Es liest Peter Matic
5 CDs
Spieldauer 355 Minuten
Zürich: Diogenes 2008
ISBN-13 978-3-257-80215-3

Als der Tonfilm aufkam, haben frühe Filmkritiker das nicht uneingeschränkt begrüßt. So trauerte etwa Alfred Polgar 1929 in "Klage um einen Abgeschiedenen": "[...] nicht mehr geht das Gesprochene [...] geradezu ins Herz, allen höchsten Sinnes voll, den die Phantasie der Hörer ihm zu schenken vermochte, sondern jetzt geht es, arm, dumm, gering, wie Gesprochenes in einhundertundein Fällen von hunderten eben ist, ins Ohr, jetzt hören wir exakt das Gezwitscher der Liebenden und den Humor der Komiker, und dieser wie jenes sind zum Kotzen."
Es gilt auch für das Hörbuch, die Stimme interpretiert. Und wir an die Stille gewöhnten LeserInnen müssen uns darauf einstellen, eine Interpretation zu deuten. Nur selten gelingt es einem Vorleser so den Ton eines Textes zu treffen, dass einem das Hören wie Lesen erscheint und wir zumindest zeitweise nicht darauf achten, doch einer neuen Variante des Kunstwerkes zu begegnen. Dann haben wir auch in diesem Wahrnehmungsmodus einen unmittelbaren Zugang zum Text. Genau diesen Zugang eröffnet der 1939 in Wien geborene Peter Matić, wenn er den "Roman eines einfachen Mannes" von Joseph Roth, den Roman aus dem Jahr 1930, "Hiob", vorliest. Matić arbeitet neben seiner Tätigkeit am Wiener Burgtheater auch als Synchronsprecher und versteht es, die Akzente, die er im (dem) Text setzt, als völlig natürlich erscheinen zu lassen. Das Tempo stimmt, die Stimme ist höchst angenehm zu hören.

Wenige Autoren haben einen so unverwechselbaren Ton wie Joseph Roth. Wenn man das Gehör dafür hat (wer nicht?), trifft der 1894 im galizischen Brody geborene und 1939 im Exil in Paris verstorbene Erzähler, unzeitgemäß ausgedrückt, ins Herz. Es entsteht vor unseren Ohren eine Welt, seltsam verzaubert, fern, heute vernichtet und untergegangen. Joseph Roth gelingt das Kunststück, dass wir diese Welt in uns wiederfinden. Unwillkürlich, beinahe unbemerkt wird deutlich, es geht um uns heute. Auch heute gibt es Menschen, die über Widerfahrnisse von Leiden nicht schweigen können, die darüber wie Mendel Mechelovitsch Singer (oder der biblische Hiob) ohne Selbst- und Fremdbetrug nicht schweigen können. Zurecht nennt Georg Langenhorst seine Studie über die literarischen Hiob-Rezeptionen und Hiob-Auseinandersetzungen von jüdischen, christlichen und nichtreligiösen Schriftstellern in Europa und Nordamerika im 20. Jahrhundert "Hiob unser Zeitgenosse".

Der Vorabdruck des Romans "Hiob" beginnt im September 1930 in der "Frankfurter Zeitung" in Fortsetzungen. Dieses Buch ist eng mit Joseph Roths eigenem Schicksal verknüpft. Seit Anfang 1928 ist seine Frau psychisch erkrankt, um den Aufenthalt in den verschiedene Kliniken finanzieren zu können, muss der Autor bis an seine Grenzen arbeiten. Zuletzt kapituliert er. Roth emigriert und flieht auch vor seinem belastenden Privatleben. Da ist die Verbindung zur Hauptgestalt des "Hiob", dem Lehrer Mendel Mechelovitsch Singer, der mit seiner Familie das wolhynische Stetl Zuchnow verlässt, nach Amerika emigriert, aber den geistig behinderten jüngsten Sohn, Menuchim, alleine zurücklässt. Von Menuchim bekommen die Singers nur spärliche Nachrichten, aber für die Neo-Amerikaner entwickelt sich zunächst alles positiv. Nur Mendel Singer hat "Heimweh nach Rußland, und es beruhigte ihn zu wissen, daß er noch vor den Triumphen der Lebendigen ein Toter sein würde". Tatsächlich erweist sich das Exil als Katastrophe. Amerika zeigt sich so, wie wir es aus den Beschreibungen Ferdinand Kürnbergers, der die Erfahrungen Nikolaus Lenaus verarbeitet hat, kennen: kapitalistisch, oberflächlich, zuletzt grausam. Mendel Singer ist verloren in Amerika.

Schaudernd hören wir, wie "seine Majestät, der Schmerz" in den alten Juden fährt, und dieser erkennt, dass alle seine Beziehungen gescheitert sind, weil nur dazu nütz, zu verbergen, dass "er schon seit Jahren einsam war". Die Erfahrung des radikalen Alleinseins schließt eine Beziehung zu Gott aus, dessen Wort in der Thora er ein Leben lang studiert und beachtet hat. Und selbst für die nur oberflächlich religiösen Freunde ist es, als Mendel Gott lästert, "als hätte er mit scharfen Fingern an ihre nackten Herzen gegriffen". Was es heißt, auf sich selbst zurückgeworfen, allein und einsam zu sein, Joseph Roth erzählt es hier gültig für uns Menschen der Moderne. Und wir verstehen es.

In der Literaurkritik zählt "Hiob" nicht zu den besten Werken des Autors. Nicht zuletzt, weil am Schluss des Buches ein Wunder geschieht. Vielleicht hat auch Joseph Roth die Hoffnung darauf nie ganz verloren. Zumindest schreibt er am 14. September 1934 an seine Schwiegereltern in Wien: "Ich habe selbst auf ein Wunder gewartet und mich ruiniert." Jedenfalls gibt es keinen Schriftsteller in der deutschsprachigen Literatur, der die Ausgesetztheit des Menschen, wie Beatrice Eichmann-Leutenegger meint, mit solch "unnachahmlicher Leichtigkeit und Grazie" besprochen hat. Dieses Hörbuch untermauert dieses Urteil treffend.

Helmut Sturm
19. Februar 2009

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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