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Joseph Roth: Triumph der Schönheit

Meistererzählungen
Gelesen von Peter Simonischek
5 CDs, Spieldauer ca. 350 Min.
ISBN 978-3-257-80906-0
Zürich: Diogenes Hörbuch 2009

Der Diogenes-Verlag hat eine ganze Joseph Roth-'Edition', darunter seine wichtigsten Romane als Hörbücher herausgebracht, eingelesen von durchweg renommierten Schauspielern und Sprechern. Das Spinnennetz, Hotel Savoy, Hiob, Radetzkymarsch, Die Kapuzinergruft: Diese Romane und fünf weitere sind mittlerweile alle in ungekürzter Fassung auch zum Hören zu haben. Wer sich jedoch einen Gesamteindruck des Roth'schen OEuvres 'erhören' will, dem sei die Auswahl von sechs Meistererzählungen ans Herz gelegt, die nun als recht aufwändig gestaltete Sammler-Edition unter dem Titel "Triumph der Schönheit" erschienen ist. Die Erzählungen stammen aus einem Zeitraum von beinahe zwei Jahrzehnten. Die älteste Erzählung - "Barbara" - datiert von 1918, die jüngste Novelle - "Die Büste des Kaisers" - von 1935. Sie bilden damit einen repräsentativen Querschnitt durch die literarisch produktive Phase des Autors. (Die erste Veröffentlichung des bereits 1939 verstorbenen Roth erschien 1915.) Die von einer knappen halben Stunde bis längstens 1 1/4h dauernden Erzählungen sind in einer nach Publikationsjahr organisierten Reihenfolge auf insgesamt 5 CDs versammelt. Gesprochen werden sie von dem 62-jährigen österreichischen Schauspieler Peter Simonischek. Alter und Nationalität des Sprechers werden hier überhaupt nur deswegen erwähnt, weil durch sie Stimmung und Atmosphäre der Roth-Geschichten auch akustisch erfahrbar werden: Die dunkle, ruhige Erzählstimme mit leichtem Wiener Akzent lässt die versunkenen Landschaften und skurrilen Protagonisten des Fabulierkönigs Roth in der Imagination des Zuhörers auferstehen.

Die Erzählweise Joseph Roths steht dem gesprochenen Wort und der mündlichen Überlieferung alter Traditionen nahe und eignet sich aus diesem Grund bestens zur Umsetzung als Hörbuch. Die Geschichten nicht nur zu lesen, sondern zu hören, ist, als lausche man dem Großvater, der die mit dem Ersten Weltkrieg untergegangene Welt der Donaumonarchie wieder auferstehen lässt. Dabei ist die Tendenz der verklärenden Sehnsucht in diesen Geschichten wesentlich stärker ausgeprägt als eine etwaige Analyse der Vergangenheit. Die Erzählungen folgen einer eigenen, zum Teil skurrilen Logik. Auffällig an diesen Geschichten ist die Konzentration auf das Detail als das Wesentliche. Die Stimmungen werden häufig nicht durch die Figuren artikuliert, sondern durch ausführlich geschilderte Nebensächlichkeiten beiläufig vermittelt. Es ist ein sinnliches Erzählen, das wie in "Erdbeeren" (1929) nach eigenen Gesetzen funktionierende Erzählräume öffnet. Als Erzähler fungiert hier der Hochstapler Napthali Kroj. Da er sich gleich zu Beginn als Schwindler ausgibt, vermutet der Zuhörer bereits, dass er auch beim Bericht seines abenteuerlichen Lebens dick aufträgt. Aber man folgt ihm gerne in seinen eigenwilligen Erzählkosmos und lässt sich von dieser zauberhaften Welt einfangen. Dabei wird von dem Leben in der Stadt, die zu einem Drittel von Verrückten bevölkert ist, so selbstverständlich berichtet, dass man sich bald schon fragt, welche der Welten - die erzählte oder die eigene - die vermeintlich 'normale' ist.

Roths Figuren eignet häufig ein nomadenhafter Zug, wie dies auch für die Hauptfigur in "April. Die Geschichte einer Liebe" von 1925 zutrifft. Ein Reisender hält sich kurzzeitig in einer (namenlosen) Stadt auf und beobachtet deren einförmiges Leben. Genauso gemächlich, wie die Menschen in dieser fremden Stadt ihren Alltag gestalten, wird von den Ritualen des Dorflebens und den Schicksalen der dortigen Menschen erzählt. Als signifikant für eine Erzählhaltung, die primär die Kleinheit und Vorgefasstheit des möglichen Erlebens fokussiert, kann auch die 1918 erschienene Erzählung "Barbara" gelten. Früh von ihrem Onkel, einem dicken Schweinehändler, in einer Zweckehe verbandelt und genauso früh wieder verwitwet, erlebt Barbara einmal in ihrem Leben die Liebe. Aus Angst, ihre Gunst fortan zwischen ihrem Sohn Philipp aus erster Ehe und dem geliebten Mann aufteilen zu müssen und damit dem Kind nicht mehr gerecht zu werden, entscheidet sie sich aus vermeintlich weiblicher Fürsorgepflicht gegen ihr Gefühl. Und da die Figuren der direkten Kommunikation miteinander unfähig sind, schreibt sie dem Geliebten einen Absagebrief. Sie "zeichnet mühevoll hinkende Buchstaben auf das Blatt. [...] 'Es kann nicht sein. Wegen meines Kindes nicht'. [...] Am nächsten Tage zog Peter Wendelin aus." Vereinsamt stirbt Barbara nach einem arbeitsreichen Leben einen frühen Tod, während der tumbe Sohn das ihm gebrachte Opfer noch nicht einmal zur Kenntnis nimmt. Auch im Leben des Bahnbeamten Fallmerayer geht alles seinen geordneten Gang ("Stationschef Fallmerayer", 1933), bis er bei einer Eisenbahnkatastrophe auf die russische Gräfin Anja Walewska trifft. War sein Leben zuvor erfüllt durch den "Duft der Eisenbahn", so kann er fortan den Geruch der fremden Frau nicht mehr vergessen. Mit Beginn des 1. Weltkrieges zieht er in den Russlandkrieg, sucht die Gräfin und macht sie durch Hartnäckigkeit und Ausdauer zu seiner Geliebten. Doch mit dem Ende des Krieges kehrt auch der russische Graf zurück und die alten Verhältnisse sind ebenso schnell wieder durch Gewohnheit und äußere Konvention in Kraft, wie sie in den Kriegswirren außer Kraft gesetzt waren. Die Figuren dieser Geschichten erscheinen nicht als Subjekte, die aktiv über ihr Leben entscheiden, vielmehr bestimmen die äußeren Umstände über ihr Schicksal.

Peter Simonischeks Lesart trifft die Atmosphäre der Geschichten: Bisweilen klingt seine Stimme lakonisch, etwa in der titelgebenden Geschichte "Triumph der Schönheit" von 1935. Aus der Perspektive des Frauenarztes Doktor Skowronnek wird hier geschildert, wie die Frauen die Männer nicht nur zur Verzweiflung, sondern (selbstverständlich!) bis in den Selbstmord treiben. Unwillkürlich muss auch die Zuhörerin schmunzeln, wenn der Doktor aufgrund seiner Erfahrungen mit den Hysterikerinnen eines reichen Bade- und Kurorts seine Geschichte mit dem sarkastischen Fazit beendet: "Viele, viele Frauen gingen an mir vorüber, manche lächelten mir zu. Lächelt nur, dachte ich, lächelt nur, dreht euch, wiegt euch, kauft euch Hütchen, Strümpfchen, Sächelchen! Rasch naht euch das Alter! Noch ein Jährchen, noch zwei! Kein Chirurg hilft euch, kein Perückenmacher. Entstellt, vergrämt, verbittert sinkt ihr bald ins Grab, und noch tiefer, in die Hölle, Lächelt nur, lächelt nur! ..." Im dialektal eingefärbten, schnoddrigen Tonfall Simonischeks wird der Gynäkologe zum eigenwilligen, aber trotz seiner misogynen Haltung doch sympathischen Beobachter des frivolen Heilbadbetriebes eines mondänen Kurorts.

In der Novelle "Die Büste des Kaisers" (1935) hingegen gewinnt die Erzählerstimme einen schwermütig-melancholischen Klang. Wie in "Erdbeeren" wird auch hier das frühere Ostgalizien evoziert, wo Roth 1894 geboren wurde. Die Novelle illustriert die bereits gegen Ende der zwanziger Jahre vollzogene Wandlung Roths vom linksorientierten Schriftsteller zum österreichischen Legitimisten, der allein in den monarchistischen und katholischen Traditionen diejenigen Kräfte zu erblicken meinte, die der aufkommenden nationalsozialistischen Ideologie ausreichend Widerstand entgegenzusetzen hatten. Im Auftrag des Hauses Habsburg-Lothringen reiste Roth noch wenige Tage vor dem Anschluss Österreichs nach Wien mit dem Ziel, den österreichischen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg zu einer Abdankung zugunsten Otto von Habsburgs zu überreden; freilich erfolglos. Mit dem Tag von Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 verließ Roth Deutschland. Bis zu seinem frühen Tod lebte er im Pariser Exil.

Die unter dem Titel "Triumph der Schönheit" zusammengestellten Erzählungen bieten nun eine gute Gelegenheit sich des Schriftstellers und der Schönheit seiner Prosa zu erinnern. Für 'Roth-Einsteiger' bieten sie einen guten Überblick über sein Schreiben, insofern sie nicht nur die typische Motivik des Autors aufzeigen, den Heimat-Mythos, die ostjüdische und galizische Geisteswelt sowie die Sehnsüchte und die Verlorenheit der Figuren am Rande der Gesellschaft. Auch die beiden Pole seines Erzählens - die scheinbar objektivierende, an den Beobachtungsgestus der Neuen Sachlichkeit angelehnte sowie die mythologisierende, legendenhafte Erzählform - finden sich in dieser Auswahl von Erzählungen vertreten. Die kongeniale Lesung Peter Simonischeks macht dabei das Hören zu einem Genuss: Man sitzt auf dem Sofa und taucht beim Zuhören in die Welt von Vagabunden, Kleinbürgern, Hysterikern oder Irren ab und der Klang verwandelt die Worte in Vorstellungswelten, die das untergegangene Kakanien auch noch im 21. Jahrhundert lebendig werden lassen.

 

Ulrike Weymann
6. Juli 2009

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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