Sprecherin: Marianne Hoppe
Textauswahl und Regie: Kai Luehrs-Kaiser
Spieldauer: 49 Min.
ISBN 3-89584-749-6
München: Der HörVerlag, 1999
Der deutsche Literaturwissenschaftler und Bernhardforscher Luehrs-Kaiser, der auch den Begleittext zur CD verfasst hat, spricht im Zusammenhang mit den 1978 erschienenen Prosaminiaturen von einem "Band grotesker und philosophischer Kalendergeschichten". Ein Drittel der insgesamt 104 Kurzgeschichten ist in der Hörspielfassung versammelt, wobei darauf Bedacht genommen wurde, eine thematische Verknüpfung zwischen den einzelnen Stücken herzustellen.
"Der Stimmenimitator", dem Bernhards Prosabuch seinen Titel verdankt, eröffnet die Serie kurzer Lesestücke, die von der hochbetagten Schauspielerin Marianne Hoppe vorgetragen werden. Sie trat in einigen Stücken des Ohlsdorfer Schriftstellers auf; mit ihr verband ihn übrigens eine späte Freundschaft. Nüchtern und distanziert, mit etwas brüchiger Stimme, verleiht die grande dame des Theaters den Hörtexten Klang und Sprache. Im Gegensatz zum "Stimmenimitator", der an dem Versuch scheitert, sich selbst zu imitieren, überzeugt ihr Auftritt durch gebändigte Emotion, ähnlich einer Nachrichtensprecherin, wodurch der Kontrast mit den dramatischen Inhalten verstärkt wird.
Bernhards Verlautbarungen hören sich an wie Notizen aus dem Lokalteil eines Sensationsblattes, wobei er nicht vergisst, die Begebenheiten mit einem gehörigen Maß an schwarzem Humor zu würzen. Trotz der ästhetischen Überformung verraten die Prosastücke durchaus authentische Beobachtungen. Immerhin arbeitete Bernhard von 1952 bis 1957 in Salzburg als Journalist und Gerichtsreporter. So verübt im Text Nr. 13 "Exempel" der Oberlandesgerichtsrat Ferrari, der in der Erstauflage noch Zamponi hieß, nach der Urteilsverkündung Selbstmord, eine falsche Darstellung, die dem Autor die Androhung einer Klage einbrachte, worauf er sich gezwungen sah, den Namen des Protagonisten zu ändern.
Auch die Nr. 22 "In Rom" manifestiert sich als autobiografisch: "In einem römischen Krankenhaus ist die intelligenteste und bedeutendste Dichterin, die unser Land in diesem Jahrhundert hervorgebracht hat, an den Folgen von Verbrühungen und Verbrennungen gestorben [...]". Die Rede ist natürlich von der Bernhard freundschaftlich verbundenen Ingeborg Bachmann, die er nicht nur in seinem Werk verehrte. Daher auch das Aussparen grotesken Zierats sowie einer komischen Pointe, wie sie für die übrigen Stücke charakteristisch sind: "Die an den Selbstmord der Dichterin glauben, sagen immer wieder, sie sei an sich selbst zerbrochen, während sie in Wirklichkeit naturgemäß nur an ihrer Umwelt und im Grunde an der Gemeinheit ihrer Heimat zerbrochen ist [...]".
Eine der zum Markenzeichen von Bernhard gewordenen Österreich-Diatriben findet sich in dem oben angeführten Zitat, womit Identifikation mit dem Schicksal der Dichterin gestiftet wird. Im "Stimmenimitator" fehlen derlei Angriffe. Stattdessen tobt sich der gewöhnlich zornige Ohlsdorfer an seinem Figureninventar aus: Ein Komiker macht Ernst und stürzt sich vom Salzburger Mönchsberg in die Tiefe; ein Berühmter Tänzer bricht während der Aufführung zusammen, weil er "an die Kompliziertheit einer Schrittkombination gedacht hat", und bleibt querschnittgelähmt; ein polnischer Dompteur wird von einem Panther zerfleischt. Daneben gibt es Mord und Todschlag, fatale Unfälle und die üblichen Internierungen in der Irrenanstalt. Den Selbstmördern widmet sich Bernhard ebenso leidenschaftlich wie den gescheiterten Künstlern und schließlich den Schriftstellern.
Des Autors Lieblingsthemen defilieren akustisch vorbei und bieten einen überschaubaren Einblick in den fiktionalen Kosmos des 1989 verstorbenen Österreichers. Er vermochte nur mit wenigen zusammenzuarbeiten. Mit seinem favorisierten Regisseur Peymann, mit ausgesuchten Mimen, die in den seltenen Genuss Bernhard'scher Zuneigung gelangten. Mit Marianne Hoppe wäre er zufrieden gewesen. Sie liest mit jener glasklaren Eindringlichkeit, die seiner Kurzprosa eignet.
Originalbeitrag
Walter Wagner
12. März 2003