Eine Erregung
Sprecher: Thomas Holtzmann
Regie: Gabi Kemper
Produktion: Südwestfunk 1993
7 CDs
Spieldauer: ca. 470 Min.
ISBN 3-89584-949-9
München: Der HörVerlag, 2003
Bernhard'sche Prosa vorgetragen zu hören, hat gegenüber der stillen, privaten Lektüre den ungeheuren Vorteil, dass bei entsprechender Könnerschaft des Sprechers die sich aus der eigenwilligen Rhythmik der Sprache entwickelnde Musikalität unverkennbar zum Ausdruck kommt. Es ist das Nicht-zu-Ende-kommen-Wollen Bernhard'scher Perioden, das - wie im Fall von "Holzfällen" - atemlose, sprich: absatzlose Reden des Ich-Erzählers, das den Zuhörer unweigerlich in seinen Bann schlägt. Es darf nicht aufgehört werden, weil Schweigen, wie Elfriede Jelinek in einem Artikel über den Schriftstellerkollegen seinerzeit ausführte, den symbolischen Tod des lungenkranken Dichters bedeutet hätte.
Lassen wir uns auf die CD-Version des 1984 erschienenen Skandalromans ein, müssen wir Thomas Holtzmanns Stimme Gehör schenken, die den zwischen Indignation und Lamento schwankenden Ton des Autors kongenial trifft. Präzis artikulierend sucht er durch wechselnden Tonfall die Prosa-Suada zu interpretieren und mithin szenisch umzusetzen. Es gelingt ihm dies auch virtuos, wenngleich die kursiv gesetzten Passagen im Text akustisch oftmals nicht mehr von jenen zu unterscheiden sind, auf denen der Vortragende insistiert. Anderseits ist eine Betonung zur zweiten Potenz, die den Schrägdrucken im Buch entspräche, ebenso wenig vorstellbar.
Wovon Holzfällen handelt, lässt sich "naturgemäß" in wenigen Sätzen zusammenfassen. Der Erzähler und Berichterstatter, ein unverhüllter Thomas Bernhard, läuft bei einem Spaziergang auf dem Wiener Graben den Eheleuten Auersberger in die Arme, mit denen ihn in der Jugend eine innige Freundschaft verband. Wiewohl es inzwischen zum Bruch gekommen ist, nimmt der Schriftsteller die Einladung zu einem "künstlerischen Abendessen" an, was er jedoch bereuen soll. In einen Ohrensessel hinter der Tür gedrückt, beobachtet er aufmerksam die exaltierte Abendgesellschaft und erinnert sich der gemeinsamen Zeit in Maria Saal, wo sich die Auersberger - Porträts des verstorbenen Komponisten Gerhard Lampersberg und dessen Gattin - des in den 50er-Jahren noch unbekannten Schriftstellers annahmen. Der nun Arrivierte entlarvt die Mittelmäßigkeit der so genannten Künstler, die sich in Bernhards kritischer Perspektive als gescheiterte Existenzen erweisen, deren alleinige Stärke anscheinend darin besteht, einander spätabends Proben ihrer Zank- und Trunksucht zu liefern: In jedem Fall ist es deprimierend, was diese Leute in diesen dreißig Jahren aus sich gemacht haben, was ich aus mir gemacht habe [...]."
Kritik und Selbstkritik, Anziehung und Abstoßung, Hass und Liebe, Ausbeutung und Ausgebeutet werden - diese Dialektik ist nicht nur Bernhards Beziehungen eingeschrieben, sondern gilt als Markenzeichen seiner Wahrheitsfindung, die alle unüberbrückbaren Gegensätze mindestens rhetorisch in Harmonie überführt. So erklärt sich auch sein problematisches Verhältnis zu Österreich, in mannigfachen Reizthemen virtuos variiert, das augenblicklich von Widerspruch in Zuspruch umzuschlagen vermag. Es nimmt daher nicht wunder, dass dieses "mir immer verhaßt gewesene Wien" bald "mein bestes Wien ist und daß diese Menschen, die ich immer gehaßt habe" schließlich "doch die besten Menschen sind".
Thomas Holtzmanns akustische Darbietung macht Freude, gelingt es ihm doch, die dem Text gemäße Theatralik durch stimmliche Modulationen geschickt umzusetzen. Freilich bedarf es einer gewissen Kenntnis der Bernhard'schen Methode, um die karnevalistischen Elemente herauszuhören und goutieren zu können. Nur in diesem Kontext ist auch Bernhards kabarettistische Ader zu schätzen, die Prägungen wie die folgende hervorgebracht hat: "Wien ist eine fürchterliche Genievernichtungsmaschine, dachte ich auf dem Ohrensessel, eine entsetzliche Talentezertrümmerungsanstalt."
Einschlägige Hinweise bietet der detaillierte Begleittext von Kai Luehrs-Kaiser, der die "Causa Bernhard" fachmännisch aufbereitet hat, ohne den Laien zu überfordern. Zweifellos ist die Einspielung samt ihrer Präsentation im Schuber zu loben. In Fußnote darf noch bemerkt werden, dass "Jeannie", eine der Figuren von "Holzfällen", hinter der sich die Schriftstellerin Jeannie Ebner verbirgt, nicht französisch nasaliert auszusprechen ist, wie dies Thomas Holtzmann tut, sondern mit gedehntem englischem [i:]. Und noch ein allerletzter Hinweis für Bernhardjünger: Die Gentzgasse, wo der Autor Zeuge eines künstlerischen Abendessens wurde, liegt im 18. Bezirk unweit des Türkenschanzparks, dem Schauplatz eines anderen Bernhardbuchs mit dem Titel "Die Billigesser".
Originalbeitrag
Walter Wagner
12. März 2003