Originalaufnahmen
Gelesen vom Autor
Auswahl und Begleittext: Andreas Maier
2 CDs
Spieldauer: ca 126 Min.
ISBN 3-89940-082-8
München: Der Hörverlag, 2003
Ohne Übertreibung kann man behaupten, dass die beiden vom Münchner Hörverlag hier vorgelegten CDs für alle Bernhard-Liebhaber und solche, die es noch werden möchten, ein Ereignis sind. Und dieses Ereignis verdankt sich zu ziemlich gleichen Teilen den Texten und ihrer Präsentation. Auch wer die frühen Arbeiten Bernhards kennt und gut zu kennen glaubt, wird im genauen Hinhören und Zuhören immer wieder von ihrer Wucht und Qualität überrascht. Wie genau, scharf und gnadenlos die Pointen sitzen, wie sicher Bernhard schon hier seine Lebensthemen anreisst und umkreist. Mit dem feinen Gespür für Effekte und mit punktgenauer Sprache arrangiert er Szenen und Figurenporträts am Rande des Abgrunds - immer wieder und immer unversehens kippen sie ins Skurrile oder doch Bodenlose.
Dass die raffinierte Komposition und die Musikalität der Sprache hier im Hören noch deutlicher zutage tritt als vielleicht im Lesen der Texte, verdankt sich zu einem Großteil dem absolut perfekten Vortrag durch den Autor selbst. Er verfügt, wohl von seiner abgebrochenen Sängerkarriere her, über eine ausgebildete Stimme mit perfekter Artikulation, und er liest mit einer erstaunlichen Distanz den eigenen Arbeiten gegenüber. Seine rasante Lesegeschwindigkeit, bei der er trotzdem immer klar und genau artikuliert und sich fast nie verhaspelt, setzt den Rhythmus der Sätze in akustische Hörbögen um und macht so die Komposition der Texte im Hören sichtbar. Die einzigen - wiewohl auch wenigen - Beeinträchtigungen des Hörgenusses sind gelegentliche Lautstärkenschwankungen in der Tonwiedergabe, aber die sind nicht dem Lesetalent Bernhards anzulasten.
Etwas verwirrend ist der Begleittext von Andreas Maier, der als das Besondere dieser CD-Ausgabe herausstreicht, dass sie den frühen Thomas Bernhard zu Gehör bringe, noch nicht den "späten Grantler", der einen "allgemein-österreichischen Dialekt" spricht, was immer damit gemeint sein mag. "Früher hat der Mann ein fast lupenreines Hochdeutsch gesprochen" (S. 6), stellt Andreas Maier überrascht fest. Das ist insofern verwirrend, als wir zwar frühe Arbeiten Bernhards zu hören bekommen, die beiden längsten Texte aber, "Der Zimmerer" (aus dem Erzählband "Prosa", 1967) und der Ausschnitt "Im Armenhaus" aus dem Roman "Frost" (1963), die zusammen mehr als 50 Minuten der ersten CD ausmachen, in Aufnahmen aus den Jahren 1985 bzw. 1986. Nur der letzte, kürzere Text "Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?" (ebenfalls aus "Prosa", 1967), ist tatsächlich in einer Aufnahme von 1968 zu hören. Ein Satz wie "Nicht nur die Diktion der Stimme ist klar und präzise beim Thomas Bernhard der sechziger Jahre" (S. 7) macht da nicht sehr viel Sinn. Sehr richtig ist hingegen die Beobachtung zum ebenfalls aufgenommenen kurzen "Gespräch" mit Wolfang Pehnt aus dem Jahr 1968. So geduldig und wohlgesetzt wie Bernhard hier auf die eher geschwätzigen und arroganten Fragen Pehnts antwortet, wird er in späteren Interviews nicht mehr reagieren, da hat er wohl aus "Gesprächen" wie diesem schon gelernt.
Die titelgebenden Prosatexte aus dem 1969 im Literarischen Colloquium Berlin erschienenen Band "Ereignisse" waren in der hier zu Beginn der zweiten CD präsentierten Version bereits einmal zu hören. 14 der 33 Prosaminiaturen des frühen Bandes waren der Taschenbuch Neuausgabe des Suhrkamp Verlages 2001 als Mini-CD beigegeben. Wie die hin und wieder hörbaren Geräusche des Umblätterns zeigen, handelt es sich eindeutig um die selbe Aufnahme des ORF, die leider nicht datiert ist. Hier finden sich diese 14 Stücke mit einer Umreihung, die der Abfolge in der Buchausgabe widerspricht, und ergänzt um den Text "Der Diktator".
Abgesehen vom Stimmvergnügen ist die Sensation der CD wohl die Erzählung "Der Hutmacher". Laut Andreas Maier ist sie im Nachlass in zwei Versionen, die nicht der von Bernhard gelesenen entsprechen, erhalten und bislang unpubliziert. Im soeben erschienen Band 14 der großen Thomas Bernhard Werkausgabe "Erzählungen. Kurzprosa" ist der Text nicht enthalten, da in diese Ausgabe eigentlich nur bereits gedruckte Werke aufgenommen werden. Laut Mitteilung der Herausgeber wird "Der Hutmacher", der mit seiner einmaligen Lesung im Hörfunk einen Grenzfall darstellt, möglichweise in Band 22 der Werkausgabe zu finden sein. Den Abschluss bildet noch ein kurzes Stimmporträt des Redners Thomas Bernhard bei der Verleihung des Büchner-Preises 1970. Auch wenn ihr Ton dunkel sein mag, "raunend" (S. 13) kann man ihn schon aufgrund der scharfen Artikulation des Sprechers nicht nennen. Aber das ist ja das Gute an dieser verdienstvollen Höredition, dass jeder Interessierte selbst hineinhören kann, um den Stimm- wie Sprachkünstler Bernhard für sich von einer neuen Seite kennenzulernen.
Evelyne Polt-Heinzl
14. Jänner 2004