Komödie
Vollständige Lesung von Thomas Holtzmann
6 CDs
Spieldauer ca 430 Min.
ISBN 3-89584-950-2
München: Der Hörverlag, 2005
Das Testament Thomas Bernhards hatte durchaus Sinn, wenn es auch viel Unmut hervorgerufen hat: In den 16 Jahren seit Bernhards Tod ist viel Gras gewachsen und Wasser die Donau hinuntergeflossen, sind die künstlichen Aufgeregtheiten und die Schmutzkübelkampagnen Schnee von gestern. Endlich Zeit, sich wieder unbefangen aufs Wesentliche, nämlich Bernhards Texte zu konzentrieren. Von Wiederentdeckung zu sprechen wäre vermessen, ist doch Bernhards Literatur - anders als viele vorhergesagt haben - beileibe nicht tot, vergessen und unaktuell, sondern in ihrer beherzten und verschrobenen Eigensinnigkeit erfrischend zeitlos geblieben.
Der Münchner Hörbuchverlag hat nun "Alte Meister", vor zwanzig Jahren erstmals erschienen, von Thomas Holtzmann gelesen als Hörbuch herausgegeben. Holtzmann, der als Schauspieler unter anderem auch auf dem von Bernhard gehassten und geliebten Burgtheater gespielt hat, liest den gesamten Text, füllt damit sechs CDs und beschert dem Hörer (wenn er denn will!) mehr als sieben Stunden ununterbrochenen, niemals langweiligen Hörgenuss.
Nicht umsonst betitelte Bernhard "Alte Meister", seine Tirade gegen Gott und die Welt, als Komödie. Wer bei Bernhard nicht lacht, hat keinen Humor. Die skurrile, dabei einfache Konstruktion des Buches: Der alte Musikphilosoph Reger geht seit 36 Jahren jeden zweiten Tag ins Kunsthistorische Museum in Wien, wo er sich in die Gemäldegalerie begibt und sich im Bordone-Saal auf eine Bank vor dem "weißbärtigen Mann" von Tintoretto setzt, das Bild betrachtet und über die Welt sinniert. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er aus dem überreichen Familienerbe, Lebensinhalt ist seine Tätigkeit als Musikkritiker für die englische Times. Zu Reger gesellt sich der ihm seit mehr als dreißig Jahren treu ergebene Saaldiener Irrsigler, ein gebürtiger Burgenländer, der Reger stets seinen Platz auf der Bank reserviert. Irrsigler wollte eigentlich Polizist werden, konnte aber wegen "physischer Schwäche" nicht in den Polizeidienst eintreten, sodass er daraufhin auf Vermittlung seines Onkels Aufseher im Kunsthistorischen Museum wurde und seitdem der "unterbezahltesten und sichersten" Arbeit nachgeht. Froh ist er, weil seitdem (da er eine Uniform trägt) sein "Kleiderproblem" gelöst ist und er in Reger einen Lehrer und Unterhalter gefunden hat, mit den Jahren "Regers Sprachrohr" geworden ist. Der Dritte in der Männerrunde ist Atzbacher, der sich regelmäßig mit Reger im Museum trifft und unter den Wächterblicken von Irrsigler Regers Schimpfereien folgt.
"Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt." Dieser berühmt gewordene, anlässlich einer Preisverleihung geäußerte Satz Bernhards könnte das Motto von "Alte Meister" geben. Lächerlich ist es, wenn die "alten Meister" - allesamt Staatskünstler, so Reger - an den einfachsten Details scheitern, nicht einmal in der Lage sind, ein Knie oder eine Hand richtig zu malen. Oder wenn Reger erzählt, dass er mit dem "Voralpenschwachdenker Heidegger", mit Adalbert Stifter, einem Erzbischof und einem Doppelmörder verwandt ist. Komisch, wenn Reger seine Texte für die Times als "Kunststücke" und sich als Musiker, Maler und Schriftsteller zugleich bezeichnet. Dem Kunsthistorischen Museum fehle es an Weltgeltung, da es weder einen El Greco noch einen Goya besitze, Reger gehe nur hin, weil dort "die für ihn ideale Temperatur" herrsche. Nachmittags sitzt er im Ambassador, unter anderem, weil es dort eine saubere Toilette gibt, im Unterschied zum restlichen Wien, das "gefürchtet und verabscheut wegen seiner skandalösen Toiletten" ist.
Reger ist eine tragische, daher komische Figur. Der gefangene Erbe, der unverstandene Geistesmensch, der sich am Höchsten orientierende, aber im österreichischen Sumpf Vegetierende, der seit dem Tod seiner Frau Orientierungslose. Kunst als Überlebenskunst. Eindrucksvoll, wie Holtzmann dieser Figur Dimension gibt, wie er den tragikomischen Grat zu finden versteht, wie er mal resignierend spricht, im nächsten Moment der aggressive Frust aus ihm bricht, wie seine alte Stimme diesen dem Wahn nahen und zerbrechlichen Reger zu formen versteht. Gut, dass er den Text inszeniert und nicht sich selbst. Und es ist durchaus als eine Kunst zu bezeichnen, den in Buchform mehr als dreihundert Seiten langen Text kurzweilig und mit Tiefe vorzutragen: Besser geht einfach nicht.
"Alte Meister" endet nach den Klagen über Wien, Österreich, die habsburgisch-katholische Staatskunst und den allumgreifenden Dilettantismus mit einem gemeinsamen Burgtheaterbesuch von Reger und Atzbacher. Nicht überraschendes Urteil: "Die Vorstellung war entsetzlich."
Originalbeitrag
Peter Landerl
8. November 2005