Mit: Charles Regnier, Martin Benrath, Gustl Halenke, u. v. a.
Regie: Gert Westphal
Musik: Peter Zwetkoff
Erstsendung 29. Mai 1958
2 CDs
Spielzeit: zus. ca. 90 Min.
ISBN 3 89940 640 0
München: Der Hörverlag, 2005
Der Hörverlag legt mit "Der gute Gott von Manhattan" einen Klassiker vor. Das Hörspiel gehört in dieser Version, der Erstausstrahlung unter Regie von Gert Westphal, dem durchwegs kanonisierten Schaffen von Ingeborg Bachmann an. Dementsprechend wurde das Stück seit seiner Erstaufführung im Jahr 1958 von der Literaturkritik und der Wissenschaft eingehend und mitunter kontroversiell debattiert. Freilich, von der Kontroverse ist nun nach 47 Jahren nur mehr wenig zu spüren. Eindeutig sind die Positionen, eindeutig sind schmähende Rufe, wie die des Autors Wolf Wondratschek, der dem Werk reaktionäre Tendenzen nachsagte, verstummt. Was bleibt? Es bleibt eine anregende Hörspielproduktion, die thematisch an ein immer wiederkehrendes Motiv der Weltliteratur anknüpft, die Liebe. In Ingeborg Bachmanns Hörspiel ringen Jan und Jennifer um ihr Liebesglück. "Jan, ein junger Mann aus der alten Welt" und "Jennifer, ein junges Mädchen aus der neuen Welt" laufen sich am Grand Central Bahnhof von Manhattan, New York, über den Weg und geradewegs in die Arme. Manhattan, aus dem indianischem Ma-na Hat-ta abgeleitet, bedeutet himmlische Erde. Jan deutet es als Zeichen, die Zeit "mit Jennifer auf der himmlischen Erde verbringen" zu können und so nimmt der Beginn der Liebe seinen Lauf. Eine Liebe, die sich in ihrer Intensität rein auf sich selbst bezieht, das Umfeld dabei völlig außer acht lässt. "Sie lachen in der Öffentlichkeit und doch unter deren Ausschluß. Oder lächeln, wie Verschwörer, die andere nicht wissen lassen wollen, dass die Spielregeln bald außer Kraft gesetzt werden." Das Problem der Liebenden ist nicht das Brechen von äußeren Konventionen, wie etwa bei Romeo und Julia, sondern die Verinnerlichung und der Rückzug aus der Gesellschaft.
Hier schaltet sich der "gute Gott von Manhattan", die Personifizierung gesellschaftlicher Normen und selbsternannter Rächer der Gepflogenheiten, ein und beginnt das Unternehmen Liebe zu unterwandern. "Der gute Gott von Manhattan" ist auf zwei Erzählstränge konzipiert. Der eine, in der sich der "gute Gott" vor einem Richter für seinen Anschlag auf Jennifer verantworten muss, in der Sprache pragmatisch und nüchtern, steht der lyrischen Beziehungsgeschichte der Liebenden, von Beginn der Bekanntschaft bis zum Tod der Frau, gegenüber. Verbunden durch lose, stimmlich ausdruckslose Kommentarchöre wird die Unvereinbarkeit dieser Gegenwelten sprachlich auf die Spitze getrieben. Jans Liebesbezeugungen gegenüber Jennifer äußern sich überschwänglich, er "möchte einmal sehen, was jetzt ist, abends, wenn dein Körper illuminiert ist und warm und aufgeregt ein Fest begehen möchte. Und ich sehe schon: durchsichtige Früchte und Edelsteine, Kornelian und Rubin, leuchtende Minerale." Der gute Gott hält dem nur die Diagnostizierung eines "anderen Zustands" gegenüber. Klar, dass eine derart große Liebe real nicht lebbar und zum Scheitern verurteilt ist. Jan und Jennifer sind nämlich unleugbar Teil der Gesellschaft, die sie mit ihrer introspektiven Beziehung verneinen. Die Folge ist ein Verleugnen der eigenen Identität, die wie im Falle von Jennifer mit dem Tod bestraft wird. Genau dieser Ausweg bietet Anknüpfungspunkte für eine neuerliche Betrachtungsweise des Hörspiels. Das Sterben von Jennifer und das Weiterleben von Jan verdeutlichen eine Übermacht des Männlichen über dem Weiblichen, die dezidiert angesprochen wird, wenn Jennifer ihre Rolle schildert: "Weil jeder sehen kann, dass ich bald ganz verloren sein werden , und fühlen kann, dass ich ohne Stolz bin und vergehe nach Erniedrigung: dass ich mich jetzt hinrichten ließe von dir oder wegwerfen wie ein Zeug nach jedem Spiel, das du ersinnst."
Sinnlich und poetisch ist das Hörspiel auf sprachlicher Ebene, gefährlich und Unheil bringend, was die Thematik betrifft. Der Hörverlag stellt der CD ein überraschend informatives Booklet beiseite, das neben Angaben zu Autorin und Werk auch einen Aufsatz des Germanisten Hans Höller beinhaltet. Höller liefert hier auf engem Raum eine zusammenfassende Interpretation des Hörspiels, gespickt mit fundierten Quellenangaben und Verweisen auf Einflüsse von Brecht und Musil. Neben der Kunst werden auch gleich die Informationen zum besseren Verständnis mitgeliefert. Didaktisch einwandfrei!
Denn: "Der gute Gott von Manhattan" entstand 1957 und wurde zwei Jahre danach, 1959, mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet. Es handelt sich also um ein Werk der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts, und es behandelt die allgemeine Möglichkeit von Liebe und die Rolle der Frau, deren zeitlicher Hintergrund, die Nachkriegszeit, mitschwingt. Würde man diesem Aspekt keine Beachtung schenken, liefe der Hörer womöglich Gefahr, befremdet auf die Situation der Rolle der Frau, zu reagieren. So ergibt sich jedenfalls die Möglichkeit die bisherigen Ergebnisse des feministischen Diskurses neu zu überprüfen.
Originalbeitrag
Julia Hamminger
9. Jänner 2006