Gelesen von Peter Fitz
Textfassung und Regie: Hermann Beil
Musik: Felix Mendelssohn-Bartholdy, eingerichtet von Otto Brusatti
2 CDs
Gesamtspielzeit: ca. 141 Min
ISBN 3-89940-776-8
Der Hörverlag, 1995/2006
"Beton" ist einer der hundert Begriffe, die die "Medienpartnerschaft von 3sat, DeutschlandRadio, Süddeutscher Zeitung und dem Suhrkamp Verlag" zu einem der Wörter des 20. Jahrhunderts erwählt hat. Im 1982 erschienenen Roman "Beton" von Thomas Bernhard geht es freilich um etwas anderes - wie in "Das Kalkwerk" (1970) und "Korrektur" (1975) um die Plage eines "Geistesmenschen" mit der Niederschrift einer Studie. In allen drei Werken kommt es nicht zur Niederschrift. In "Beton" scheitert Rudolf an der geplanten Studie über Mendelssohn-Bartholdy, bringt aber immerhin eine Art Ersatzschrift über die eigene Lebenssituation zu Papier. Johannes Frederik G. Podszun hat in einer Arbeit mit dem Untertitel "Die Studie und der Geistesmensch" den nicht ganz geglückten Versuch gemacht, Vorbilder für die Bernhardschen Geistesmenschen zu finden. Für Rudolf aus "Beton" meint er dafür Thomas Bernhard selbst festmachen zu können. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass gerade aus diesem Werk im Stadttheater Gmunden 1999 zum zehnten Todestag Bernhards eine szenische Lesung mit Peter Fitz in der Regie von Hermann Beil gegeben wurde. Dieser Lesung lag die hier zu besprechende Produktion zugrunde.
Peter Fitz, mehrfacher "Schauspieler des Jahres" der Zeitschrift "Theater heute", überzeugt vollständig. Das etwa zweieinhalbstündige Selbstgespräch Rudolfs wird nie auch nur ein bisschen eintönig. Besonders bewundere ich die enorme Variabilität der Tempi und die hohe Kunst der Pausen. Für die Modulationsbreite der Stimme ließe sich ein Dutzend und mehr Adjektiva herzählen: verzweifelt, ernst-nachdenklich, konstatierend, sarkastisch, verhöhnend ... Vor allem aber gelingt es ihm, eine eindeutige Festlegung in der Deutung Rudolfs (und damit auch Thomas Bernhards ?) zu vermeiden. Wir hören das drängende Anliegen eines Einsamen ebenso wie die Tiraden des Spötters, vor dessen Witz nichts mehr Bestand hat.
Der Dramaturg und Literaturkritiker Hermann Beil hat den Roman so eingerichtet, dass ihm problemlos zu folgen ist. Dafür hat der aus Wien stammende Hörbuchregisseur geschickt gekürzt. In Summe ergeben die vielen kurzen Striche eine Lesedauer, die die Produktion eben auch theatertauglich und publikumsfreundlich macht. Dass unter die Streichungen auch eine gewaschene Wien-Beschimpfung fällt, ist vielleicht nicht ganz im Sinne Bernhards, der gerne der Forderung von Günter Anders gefolgt ist: "Wenn wir es für erforderlich halten, Wahrheiten, die von Interessensgruppen unterdrückt werden, sichtbar zu machen, dann müssen wir diese erst einmal pastoso, mit zu dickem Pinselstrich, präsentieren." Auch wenn es Beil mit dem Publikum und ein wenig mit Giorgio Armanis Credo "Übertreibungen sind immer falsch" hält, Thomas Bernhard wird noch immer als großer Übertreibungskünstler erkennbar.
Zurückhaltend und sehr effektvoll ist die von Otto Brusatti eingerichtete Musik nur an ganz wenigen Stellen eingesetzt. So gibt dafür etwa der Satz "Ich griff mir an den Kopf und sagte: das Meer!" einen passenden Einsatz, worauf Mendelssohn-Bartholdys Musik überzeugend Rudolfs Feststellung "Ich hatte mein Zauberwort" vermittelt.
Der Geistesmensch, der jeden Grund kennt, mit seiner Studie nicht beginnen zu können, ist groß darin, was man heutzutage name-dropping nennt. Immer wieder werden die Namen von Geistesgrößen genannt, aber "naturgemäß" erfährt man über sie so gut wie nichts. Etwas zu sagen hat Rudolf über seine Schwester, den "Geschäftsmenschen", die er zur absoluten Antagonistin stilisiert, um schließlich doch viele Gemeinsamkeiten mit ihr zu entdecken. Er spricht über die Haushälterin Frau Kienesberger, über die Hinterhältigkeit des senilen Kavallerieoffiziers aus Niederkreut und erzählt die "furchtbare Geschichte" der jungen Anna Härdtl, die er von seinem letzten Palmaaufenthalt her kennt. Es liegt für Rudolf darin tatsächlich eine Art Befreiung, anstelle über die Geistesgröße Mendelssohn-Bartholdy über ganz gewöhnliche Menschen zu schreiben. Auch wenn er nach dem Überlegen ihrer Schicksale nur mit Schlaftabletten zur Ruhe kommt und aus dem Schlaf "erst sechsundzwanzig Stunden später in höchster Angst" erwacht. Das "Selbstgelächter", wie sich das Hörbuch im Untertitel nennt, bleibt spätestens hier im Halse stecken. Auch die Musik bricht zuletzt nach ein paar Takten ab.
Bernhard, Beil und Fitz haben uns da ein ganz besonderes Hörbuch überlassen.
Helmut Sturm
31. Juli 2006
Originalbeitrag
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