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Ingeborg Bachmann: Ingeborg Bachmann liest Malina. Prosa aus den Jahren 1968 - 1971.

3 CDs mit Booklet (Hans Höller)
CD 1: "Malina" 67 Min.
CD 2: "Simultan" 68 Min.
CD 3: "Ihr glücklichen Augen" 41 Min., "Das Gebell" 46 Min.
ISBN 978-3-89940-326-6
München: der hörverlag, 2007

959 lautet die Trefferquote für die Schlagwortsuche "Ingeborg Bachmann" in der Datenbank der Österreichischen Nationalbibliothek (Zeitraum 1992 bis heute). Zum Vergleich: 205 Treffer für Ilse Aichinger, 182 für Marlen Haushofer, 33 für Hertha Kräftner. Woran liegt dieses ungleich größere Interesse, das "der Bachmann" heute wie damals entgegengebracht wurde? Ist es die "strategisch" angelegte Karriere, die sie aus der österreichischen Enge in die Internationalität führte? Ist es die Identifikationsmöglichkeit, die sie vor allem den Leserinnen mit ihrer Geschlechterdiskussion bietet? Sind es die literarischen Querverweise, die autobiografischen Bezüge, die musikalischen Strukturen und die nationalsozialistische Vergangenheitsbewältigung, die "Malina" zum idealen weiten Feld für literaturwissenschaftliche Erforschung machen oder zum neugierigen Herumdeuteln in der Biografie der Autorin verlocken?

"der hörverlag" hat sich der verdienstvollen Aufgabe gestellt, diesem beständigen Interesse an einer großen Autorin des 20. Jahrhunderts mittels einer Edition des Werkes von Ingeborg Bachmann, durchwegs gelesen von der Autorin selbst, nachzukommen. Der letzte Teil dieser Edition trägt den Titel "Ingeborg Bachmann liest Malina", Prosa aus den Jahren 1968 - 1971. "Malina", der einzige vollendete Roman aus dem geplanten Todesartenprojekt, wird auf CD 1 in Ausschnitten gelesen. Der Bachmann-Biograf Hans Höller zeichnet für das beiliegende Booklet verantwortlich, in dem knapp und kompetent die nicht unkomplizierte Komposition des Romans erläutert wird, die Tonaufnahmen genau dokumentiert sind und Fotos aus den Jahren der Entstehungszeit des Buches und Zitate aus Interviews ein lebendiges Bild der Autorin vermitteln.

Bereits im Booklet des ersten Teils der Gesamtausgabe ("Die gestundete Zeit", 2004) zitiert Hans Höller Ingeborg Bachmanns Ansicht über den "Vorzug des Lebendigen" gegenüber der professionellen Kunststimme: "Denn die Eigentümlichkeit dieser Stimme, die so und so beschaffen ist, wird kein Fortschritt aus der Welt schaffen" (aus "Musik und Dichtung") und begründet somit die Besonderheit dieser Edition, bei der es nicht um von SchauspielerInnen gelesene Hörbücher geht, sondern um Archivaufnahmen aus den Jahren 1948 bis 1973. Mehr als einmal habe ich von der Stimme der Bachmann gelesen, von ihrem Charisma bei öffentlichen Auftritten und dementsprechend neugierig war ich nun, das Original zu hören. Was ich also höre, ist eine deutlich artikulierte, disziplinierte, vom charakteristischen Kärntner Akzent befreite Sprache. Die oft langen Sätze werden auf einem gleichmäßig hohen Ton gehalten, die Stimme senkt sich konsequent erst vor dem Punkt. In den vor Publikum gelesenen Aufnahmen ist Spannung oder Nervosität spürbar. Der Vergleich ihrer jungen Stimme aus den Jahren 1948 bis 1953 ("Die gestundete Zeit") mit der Lesung von "Malina" (entstanden 1971) berührt. Ihre ersten Gedichte liest Ingeborg Bachmann 29jährig mit warmer, voller, getragener Stimme, die Tonlage - wie auch in "Malina" - immer leicht hoch gehalten, fast ein wenig dramatisch. Die Aufnahmen aus den letzten Lebensjahren der Bachmann lassen einen gebrochenen Ton hören, eine Zerbrechlichkeit, eine Stimmlage, die jederzeit kippen kann, aber dann doch nicht kippt.

Den vier Ausschnitten aus dem Roman "Malina" stellt Ingeborg Bachmann jeweils erklärende Worte voran. Zuerst wird die Beziehung des weiblichen Ich zu seiner männlichen Doppelgängerfigur Malina (die Betonung liegt auf dem ersten A) erläutert. Als nächstes die Beziehung des Ich zu Ivan, dem Geliebten. Es folgt ein Interview, das Fragen des öffentlichen Interesses behandelt und doch zu "einem Gipfel an Indiskretion" wird. Den Abschluss bilden "Bruchstücke" aus Traumsequenzen, die das weibliche Ich heimsuchen und die die Krankheit der Gesellschaft und die daraus resultierende Krankheit des Ich erklären. In den Traumsequenzen werden die Schreckenstaten der nationalsozialistischen Mörder im "Vater" personifiziert, der seine Fortsetzung als Täter in der gelinderen Variante des Geschäftsmannes Ivan findet und die gefährlichere, weil unscheinbarere im Doppelgänger Malina, dem eigentlichen Mörder des schwächeren weiblichen Ich bis hin zum Verschwinden des Ich in der Wand. "Die Gesellschaft ist der allergrößte Mordschauplatz." heißt es im Dialog zwischen der Ich-Erzählerin und Malina.

Um zeitweise aus der beklemmenden Arbeit an den "Todesarten" auszusteigen, schrieb Ingeborg Bachmann "komische" Geschichten über Frauen, die sie für sich mit "Wienerinnen" bezeichnete. Sie wurden 1972 unter dem Titel "Simultan" veröffentlicht. Quasi als Kontrapunkt zu "Malina" findet man daher auf CD 2 und 3 Gesamtaufnahmen (aus den Jahren 1968, 1969 und 1973) von drei dieser Erzählungen: "Simultan", "Ihr glücklichen Augen" und "Das Gebell".

Man muss schon genau hinhören, um die feinen Unterschiede zu bemerken, mit denen Ingeborg Bachmann von Aufnahme zu Aufnahme einen anderen Grundton schafft. "Simultan" liest sie im Studio mit einer fast trägen Langsamkeit, einer Müdigkeit, die nicht unbedingt ihrer eigenen Verfassung entsprechen muss, sondern der Grundstimmung der Hauptfigur Nadja, einer Dolmetscherin, die müde vom Leben und von ihrem Beruf eine spontane Reise mit einer spontanen Bekanntschaft in den Süden Italiens macht. Schon wie Bachmann diesen Namen "Nadja" (der Name bedeutet: Hoffnung) spricht, weich und sinnlich, lässt das Gefühl für eine Frau entstehen, die am Ende ihrer Kraft ist, vielleicht auch am Ende ihrer Hoffnung.
"Ihr glücklichen Augen", ebenfalls eine Studioaufnahme, liest Bachmann wie es scheint mit Vergnügen an der kleinen Inszenierung. Miranda (die Wundervolle!) ist nicht nur tatsächlich sehr kurzsichtig, sie will zudem auch die hässlichen Wunder dieser Welt nicht sehen. Um dieses Faktum rankt sich die Erzählung über ihre Beziehung zu Josef. Die Zärtlichkeit mit der die staunende Miranda definiert wird, produziert Bachmann auch in der Stimme, ebenso wie die trockene Art Josefs oder die giftigen Äußerungen Stasis, der "Gegenspielerin" Mirandas. Es ist ein kleines Kabinettstück, das die lesende Autorin vollführt: Stasi sei "beinahe frequentabel" (Josef zu Miranda) oder "du bitte, das ist ja eine Konfusion in diesem Salzburg" (Miranda zu Stasi). Haargenau trifft sie den jovialen Ton des Wiener Großbürgertums, mit dem Rufmorde in der Gesellschaft (auf dem "Mordschauplatz") verbreitet werden.
Niemals verrät sie "die Wienerinnen" durch Ironie, mit äußerster Feinfühligkeit werden einmal Nadja und dann Miranda in all ihren Facetten weiblichen Verhaltens den männlichen Partnern und deren praktischem Denken gegenübergestellt. Die Genauigkeit mit der Bachmann schreibt und liest und kein einzelnes Wort dem Zufall überlässt (dies wird besonders an den Korrekturen deutlich, die ich mitlesend in einer Buchausgabe von 1977 gegenüber der gelesenen Version feststelle), macht aus den kurzen von ihr gelesenen Erzählungen Meisterstücke. Die Lesung von "Das Gebell", eines öffentlichen Auftritts in Warschau 1973 - dem Todesjahr Bachmanns - ist ein mühevolles Hörerlebnis, da es sich offensichtlich um eine private Tonaufnahme handelt. Man hört Nebengeräusche, Straßenlärm und die Stimme Bachmanns klingt angestrengt. Auch in dieser Erzählung geht es um "eine Wienerin": Franziska. Sie ist die "junge Frau Jordan", die über die "alte Frau Jordan", ihre Schwiegermutter und Mutter von Leo Jordan, fremde Seiten an ihrem Mann, dem berühmten Psychiater, entdeckt. Eine Distanz entsteht, die nicht mehr zu überbrücken ist. Sowohl die junge als auch die alte Frau Jordan sind Opfer der Kaltblütigkeit des Sohnes beziehungsweise des Ehemannes. Die Einbindungen vieler dieser Erzählfiguren in den Roman "Malina" verdeutlichen, dass Bachmann immer an einem großen Gesamtwerk arbeitete.

Die Gültigkeit des Werkes der Bachmann 2007 ist einerseits eine historische und andererseits eine stets aktuelle. Neben nationalsozialistischen Strömungen verlieren auch die "weiblichen Todesarten" nicht an Aktualität. Malina ist in/unter uns. Christa Gürtler hat in ihrem aufschlussreichen Aufsatz von 2004 "... weil ja fast alle Frauen stumm dabeisaßen" (nach einem Zitat von Elfriede Gerstl) die Situation der jungen Autorinnen Aichinger, Bachmann, Haushofer und Kräftner im Wien der 50er Jahre eindrücklich analysiert. Nur Ingeborg Bachmann hat es zu einer Trefferquote von 959 gebracht.

 

Beatrice Simonsen
18. Oktober 2007

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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