Es liest: Ulrich Tukur
Musik: Ulrich Tukur
3 CDs
Gesamtspielzeit: 170 Minuten
ISBN 3-933686-88-1
ROOF Music Gmbh, 2002
Man kann Hugo Bettauers kleinen Kriminalroman "Der Frauenmörder" als "pure Kolportage" abtun und Ulrich Tukur vorwerfen, er pflege "seine Manierismen als Vorleser denn doch etwas zu arg", wie Andreas Platthaus das in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" getan hat. Aber beide Urteile verallgemeinern "denn doch etwas zu arg".
Natürlich war Hugo Bettauer ein Schnell- und Vielschreiber, interessiert vor allem am guten Plot und der flotten Präsentation. Mit beidem kann "Der Frauenmörder" durchaus überzeugen, und gewürzt ist das ganze noch mit einer witzigen Volte auf den Literaturbetrieb im Berlin der wilden zwanziger Jahre.
Wo der Vorwurf des Platten und Manieristischen des Buches wie der akustischen Interpretation am ehesten greift, ist die konstruierte Figur des Berliner Kriminalkommissars Clusius und seines Spezial-Ermittlers Krause. Clusius poltert ein bißchen zu sehr, auch zu sehr berlinerisch, und Krause ist einfach noch klüger als Sherlock Holmes. Eigentlich heißt er Joachim von Dengern und zum detektivischen Superhirn wurde er aus zu Unrecht verlorener Ehre. Um sich zu rehabilitieren, mußte er seinen ersten Kriminalfall lösen und den wirklichen Täter überführen.
Der Fall "Frauenmörder" beginnt mit dem geheimnisvollen Verschwinden einer Reihe von jungen Mädchen: alle eben in der Großstadt Berlin angekommen, alle alleinstehend und, wie die jeweiligen Vermieterinnen überseinstimmend aussagen, berichteten alle von der Bekanntschaft mit einem Mann, der sie bald zu heiraten beabsichtigte. Dann verschwinden die Mädchen spurlos, lassen ihre armselige Habe zurück und tauchen auch als Leichen nicht wieder auf. Es dauert einige Zeit, bis Krause klar wird, dass da gar niemand verschwunden ist, obwohl der mutmaßliche Täter, der Schriftsteller Thomas Hartwig, in Untersuchungshaft sitzt und hartnäckig schweigt.
Im "großen Prozess" auf der dritten CD geht dann die kunstvolle Inszenierung der Affäre auf. Der wochenlang die Berliner Medien beschäftigende Fall des geheimnisvollen Frauenmörders war ein raffinierter Coup, mit dem der unbekannte Schriftsteller - mit Hilfe seiner findigen Freundin - gleichsam über Nacht Öffentlichkeit und Popularität erzwingen wollte, was ihm zweifellos geglückt ist.
Was an dieser Literatursatire heute spannend ist, ist nicht nur der eine oder andere Lokalaugenschein "Im Literarischen Café" Berlins mit durchaus identifizierbaren Akteuren, sondern auch der frühe Verweis auf das problematische Verhältnis von Literatur und Medien, scheinbar lange bevor Literaturcharts und Prominentenbarometer die sogenannten Kulturseiten der Magazine füllten. In einer Erzählung aus Norbert Silberbauers soeben erschienenem Buch "Die elf Gebote" entwendet ein junger, unbekannter Autor auf der Frankfurter Buchmesse die Preisurkunde eines glücklicheren Kollegen und erlangt damit über Nacht mediale Berühmtheit. Bei Silberbauer entpuppt sich der Schelmenstreich zwar als Traumerlebnis, aber an der zugrundeliegenden Sache - die Inszenierung ist alles - scheint sich nichts geändert zu haben.
Ulrich Tukur liest den Text mit brillanter Rasanz und großer stimmlicher Bandbreite. Die Geschwindigkeit und der Tonfall entsprechen der Raschheit der Ereignisse und lassen den Trubel im Berlin der zwanziger Jahre mithören. Übrigens war es - laut ROOF Music - Ulrich Tukur selbst, der dem Verlagshaus die Produktion dieser CD empfahl, was man leider nicht im eher dürftigen Booklet nachlesen kann, sondern direkt erfragen muß. Die Initiative für diese CD-Produktion ist insofern kein kleines Verdienst, als auch der Nachdruck von Hugo Bettauers "Der Frauenmörder" in der Hamburger Achilla Press - von der auch das poppig-deftige Cover übernommen wurde - lange schon wieder vergriffen ist. Zumindest vorlesen kann man sich den Roman jetzt lassen, und die knapp drei Stunden sind dabei durchaus vergnüglich zugebracht.
Originalbeitrag
Evelyne Polt-Heinzl
3. Dezember 2002