Es liest: Susanne von Borsody
Spielzeit: 74 Min.
ISBN 3-89813-183-1
Der Audio Verlag, Radio Bremen 2002
Es macht durchaus Sinn, alte Sendeberichte aufzubewahren. 34 Texte einer gewissen Ruth Keller waren jahrzehntelang in einem Archiv von Radio Bremen versteckt, ehe ein Germanist und Radiomann hinter deren Geheimnis kam. Jörg-Dieter Kogel grub das Konvolut aus und enthüllte in einem 1998 veröffentlichten Buch deren Geheimnis. Niemand anderer als die österreichische Dichterin Ingeborg Bachmann hat die Reportagen geschrieben, 1954/55 verdiente sich die damals nahezu unbekannte Autorin als Rom-Korrespondentin für Radio Bremen und die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" ihr Geld.
Auf der vorliegenden CD finden sich 11 Stück von Bachmanns Rom-Reportagen. Zwischen die Texte hat man die berühmtesten Gedichte der Autorin (u. a. "Die gestundete Zeit", "Erklär mir Liebe", "Reklame" etc.) gestellt. Allesamt wird von der Schauspielerin Suzanne von Borsody gelesen, in einem Tonfall, der nach und nach die Unterschiede zwischen den Textsorten einebnet und gegen Ende fast wirklich zum Verschwinden bringt. Tatsächlich kann man den Gedichten von Ingeborg Bachmann kaum mehr schaden, als sie in jenem pathetischen Ton vorzutragen, auf den Schauspieler zum Schaden der Dichtung bis heute im Rahmen ihrer Sprechausbildung getrimmt werden und der im Normalfall um so unerträglicher ausfällt, je höher der Stellenwert der gelesenen Texte veranschlagt wird. Die Gebrauchstexte aus Rom, die Bachmann Mitte der 50er Jahre Woche für Woche telefonisch nach Deutschland durchgegeben hat und von denen aus diesem Grund leider keinerlei Originalaufnahmen existieren, mildern das Pathos. Hat man sich erst einmal mit der anfangs ungewöhnlich wirkenden Textzusammenstellung angefreundet, nimmt man den mechanischen Wechsel zwischen Gedicht und Reportage gerne hin. Zwar tun sich zwischen den Textsorten keine wirklichen Korrespondenzen auf, von Ingeborg Bachmann ergibt sich aber insgesamt ein doch etwas komplexeres Bild.
In ihren Reportagen konnte die Bachmann bissig und witzig sein: Die lange Geschichte des römischen U-Bahnbaus (über die sie aus Anlaß der Eröffnung berichtet) erscheint ihr genau so alt wie die Geschichte Roms. Wir erfahren von Mussolinis erstem Versuch, den die Bevölkerung nur spöttisch den "weißen Marmorelefanten" genannt hat. Dem im Jahre 1955 dann doch noch glücklich fertiggestellten Bauwerk bescheinigt Bachmann zwar eine bestechende Modernität von Neonlicht und technisch-dekorativen Effekte, einige Wermutstropfen gibt es trotzdem: Bachmann weist auf die Frequenz von bloß vier Fahrten pro Tag hin und auf die Tatsache, daß nur zwei Stationen existieren. Außerdem werde die Untergrundbahn ihrem Namen nicht gerecht, handelt es sich doch bei ihr um eine reine Obergrundbahn.
Die Reportagen Bachmanns berichten zwar auch von politischen Ereignissen, schlagen aber immer wieder die Brücke zum reinen Boulevard. Die berühmte Gina Lollobrigida etwa ließ sich gemeinsam mit 26 Mailänder Malern in eine Hotelhalle sperren, um den Männern vier Tage lang Modell zu stehen. Nach Ende der Sitzung sollte von der Schauspielerin das beste Bild ausgewählt und angekauft werden. Nachdem sich unter den Malern eine konservative und eine fortschrittliche Fraktion fand, erwartete man das Urteil mit Ungeduld. Die Lollobrigida zeigte sich gewappnet und bereitete die Entscheidung mit Argumenten vor, die alle zufriedenstellen sollten: "Mir gefällt die Kunst, die zu ergreifen vermag und etwas zu sagen hat. Auch die moderne Kunst gefällt mir. Allerdings nur dann, wenn sie nicht aus der Lust der Zerstörung vernichtet, was die Natur geschaffen hat."
Um die Kunst Ingeborg Bachmanns zu verstehen, werden uns solche Klischees freilich nicht weiterhelfen. Nützlich scheint aber der Blickwinkel, aus dem heraus die römischen Reportagen geschrieben sind. Eine Sicht auf Land und Leute, die den Kontakt mit der Wirklichkeit nicht scheut und solcherart durchaus in der Lage ist, das Bild von der weltabgewandten, ätherischen Dichterin zurechtzurücken.
Originalbeitrag
Klaus Kastberger
8. Jänner 2003