Sprecher: Ulrich Matthes
Bearbeitung, Regie: Ulrich Gerhardt
Spieldauer: 90 Min.
ISBN 3-89584-967-7
München: Der Hörverlag, 2002
"In verschiedenen Stimmlagen zu sprechen und die Aufnahmeschnipsel ohne Verschnaufpause aneinander zu kleben, so dass es sich anhört, als falle sich der Vorlesende selbst ins Wort, ist ein plumpes Mittel der Hörbuchinszenierung." So urteilte Martin Schröder in der ersten Nummer des Jahres 2003 der Literaturzeitschrift "Literaturen", die schon vor Weihnachten in den Postkästen lag.
Martin Schröder hat nicht unrecht. Das Spiel mit der akustischen Überlappung und dem ständigen, inhaltlich nicht durchschaubaren Wechsel der stereophonen Kanäle - besonders störend ist dieser Wechsel, wenn er sich auf die klassischen Bernhardschen inquit-Formeln ("so Fro", "so Höller" ...) bezieht und so direkte Rede suggeriert - wirkt einigermassen manieriert. Dazu kommt der inhaltlich ebenfalls nicht wirklich begründbare Wechsel zwischen rascher und forscher bzw. resignativer und leiser Stimmführung.
Kommt man vom Text her und macht man sich gar die Mühe, parallel mit zu lesen, können auch die vorgenommenen Schnitte, die bei der 90minütigen Spieldauer naturgemäß groß sein müssen, nicht überzeugen. Gerade bei einem Bernhard-Text ist es nicht leicht, Bausteine herauszubrechen. Zu groß ist die Verführung für den Bearbeiter, statt vier aneinandergereihte Begriffe nur zwei zu nehmen, von vier Neuansätzen zur Beschreibung eines Sachverhalts zwei oder gar drei zu streichen. Das kürzt zwar, verfälscht aber den Text und beraubt ihn seiner Spezifik, das Manisch-Repetitive der Sprache geht verloren.
Bedenklich sind Striche auch dort, wo sie konsequent einen ganzen Motivstrang kappen, der für die Handlung - Konrads Mord an seiner kranken Frau - von zentraler Bedeutung ist: Konsequent werden etwa die im Buch sehr langen Passagen über die Gebresthaftigkeit von Konrads an den Rollstuhl gefesselte Frau ausgespart und sein mühsamer Kampf mit ihrer leiblichen Versorgung. Nicht nachvollziehbar ist in der Hörversion auch der - in der Einspielung nur wie nebenbei erwähnte - Stellvertreterkrieg der Ehegatten, den sie um ihre Lektürevorlieben (Novalis' "Heinrich von Ofterdingen" und Kropotkin) austragen. Generell problematisch auch, dass die Stimme sich häufig über Interpunktionen hinwegsetzt und nahtlose Anschlüsse suggeriert, wo Erzählwelten dazwischenliegen. Einmal werden gar ohne inhaltliche Rechtfertigung Textpassagen verschoben.
Das enttäuschendste der ganzen Aufnahme aber ist das akutisch völlig misslungene Hörexperiment. Die gelesenen Passagen über Konrads Experimente für seine große, ultimative Studie über das Gehör sind eigenartig farblos geraten. Wir hören die Sätze und Wörter, die Konrad seiner Frau gnaden- und pausenlos vorspricht, und wir hören sie nicht. So uninspiriert wie Ulrich Matthes sie in die Satzkaskaden einbaut, ist die Chance verspielt, die der Wechsel von der Schrift zur akustischen Präsentation für das Hören, das große Thema des Buches, bedeuten hätte können.
Alles bisher Gesagte gilt, wenn man vom Buch her kommt. Denn hört man sich die Einspielung noch einmal mit der Frage an, wie der gesprochene Text auf Hörer wirkt, die nicht unbedingt Bernhard-Kenner sind, muß man zugeben, dass die Umsetzung trotz aller Mängel und Einwände funktioniert. Besonders gelungen ist die Schlusspassage, die relativ lang und ohne Striche die letzten Seiten des Buches wiedergibt und damit zeigt, dass Bernhards Prosa ihre Länge(n) braucht.
Über die dürftige Ausstattung der Booklet zu klagen, scheint Hörbuchverlage wenig zu beeindrucken. Was Gedrucktes anbelangt, scheinen sie jede Verbindung zu ihrer Herkunft, dem Buch, zu vermeiden. Immerhin ist dieser Ausgabe eine optische Zugabe beigefügt: im Inneren verbirgt sich ein Foto des einstigen Kalkwerks "Unter dem Stein" am Traunsee, das Thomas Bernhard noch gekannt hat.
Originalbeitrag
Evelyne Polt-Heinzl
21. Jänner 2003