Populäre jüdische Künstler - Wien
Musik & Entertainment 1903 - 1936
Zusammenstellung: Andreas Koll, Chaim Frank
Spielzeit: 1:15:49
C & P Trikont 2001
Preisfrage: Was haben das Etablissement L. W., Max und Moritz und die Hölle gemeinsam?
Die Hölle? Nun, Max und Moritz sind wahrscheinlich dort gelandet; das Etablissement L. W. klingt andererseits etwas anrüchig.
Die Antwort weiß der Mitherausgeber der CD, Chaim Frank, "So dreht sich alles auf der Welt" (2001). Er verrät die Lösung in seinem Artikel im Booklet zur CD. Sein ausführlicher und kenntnisreicher Essay über jüdische Kleinkunst spannt die Zeit vom Ende der k.u.k Monarchie bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts.
Aus eben dieser Zeit, von 1903 bis 1936, hat Trikont Glanznummern jüdischer Unterhaltung auf CD gepresst.
Die Tonqualität lässt natürlich oft zu wünschen übrig. Doch das Vergnügen wird dabei kaum getrübt, das Krachen in den Lautsprecherboxen überzieht die Aufnahmen mit der täuschend echten Patina zerkratzter Grammophonplatten.
Es waren beinah Goldene Zeiten der Kleinkunst und des Varietés, die von der Jahrhundertwende und trotz Weltkrieg wie darauffolgender Wirtschaftskrise bis Mitte der dreißiger Jahre reichten. Jüdische Künstler und Entertainer spielten dabei die zentrale Rolle. Fast alle kamen sie über Umwege aus Osteuropa in die Wiener Leopoldstadt, um von dort aus ihr Publikum zu erobern.
Unbeschwert, selbst als der Nationalsozialismus sein Medusenhaupt hob, lachten und sangen die Vorstadtkomödianten; man wollte unterhalten sein in "Wien, dem fidelen Grab an der Donau" (Alfred Polgar). Die Politik spielte dabei eine untergeordnete Rolle.
Lieder, Couplets, Duette und Balladen mischten sich mit kabarettistischen Einlagen und immer gern gesehenen Parodien zu einem bunten Reigen. Das Atmosphärische überwog - echte Volksnähe, die sich nicht populistisch anzubiedern hatte. Das Treiben des nahegelegenen Wurschtelpraters fand in der Leopoldstadt ihren Nachhall. Die Künstler gaben sich gerne albern und frivol, wenn es die Gelegenheit erforderte auch derb, dann wieder klug und zynisch, weltstädtisch und lyrisch - mit der gelegentlichen messerscharf ins Wiener Herz gezielten Pointe.
Die CD setzt mit dem titelgebenden Lied von Armin Berg ein. Darin hat der Künstler übrigens eine vergnügliche Variation auf Schnitzlers "Reigen" versteckt. Ein gemeiner Hausfloh springt in einer der Strophen von der Köchin auf den Hausherren über, der gibt ihn am Nachmittag an seine Frau weiter; Abends juckt er dann den Zimmerherren, um in der Nacht wieder auf die Köchin überzuwechseln - und so schließt sich der Kreis zur Zufriedenheit aller. Die gefeierte Diseuse Fritzi Massary entblößt ein wenig später ihr "seelisches Interieur" und singt vergnügt über eine "Frau, die weiß, was sie will", Betja Milskaja folgt im Duett mit Hermann Leopoldi mit einem Song über den faszinierend schönen aber ganz schön dummen "Alois". Selbst der junge Karl Farkas trällert ein Lied.
Heinrich Eisenbach ("Fiaker Hupferl beim Bezirksgericht") und Fritz Grünbaum sind zu Recht unvergessene Künstler ihres Fachs. So inszeniert Grünbaum als Möchtegernintendant Schillers "Räuber" weit vorausblickend als modernes Regietheater - "Sowas mach ich mit zwei Personen!". Er braucht knappe drei Minuten, um plausibel zu machen, wie das geht. Etwas abseits steht Karl Kraus mit seinem "Schoberlied", denn der Herausgeber der "Fackel" kann im engeren Sinn nicht zu den Kabarettisten und Varietékünstlern gezählt werden. Das "Schoberlied" von einem fürchterlich pflichtbewußten Opportunisten fügt sich jedoch nahtlos in die CD-"Melange".
Max Brod (nicht zu verwechseln mit dem Prager Autor), Fritz Engel und Gisela Werbezirk sollen nicht vergessen werden, auch nicht Jacques Rotter, Godoscev und Celakowsky sowie Franziska Gaal; und weil Aufzählungen immer ermüden, sei last but not least das "reizende Stückchen Wien" Josma Selim erwähnt.
P.S. Zum Schluss noch kurz zur Auflösung der Preisfrage: Hölle, Max und Moritz und Etablissement L. W. hießen u.a. jene Wiener Varietés und Kleinkunstbühnen, in denen jüdische Unterhaltungskünstler gefeiert wurden.
Originalbeitrag
Anne Zauner
20. März 2002