Hörspielbearbeitung: Helmut Peschina
Sprecher: Felix von Manteuffel, Peter Simonischek, Libgart Schwarz, Wolfgang Michael, Robert Meyer, Wolfgang Böck u. a.
Regie: Robert Matejka
Produktion: Norddeutscher Rundfunk/Bayerischer Rundfunk 2002
Spielzeit: ca.173 min
ISBN 3-89940-070-4
der hörverlag 2002
Elias Canettis "Blendung" hat wie jedes berühmte Buch viele Zugänge. Die einen lesen es als packenden Gesellschaftsroman von der Unversöhnlichkeit des Kleinbürgertums mit dem humanistischen Bildungsbürgertum, die anderen als sprachkritisches Meisterwerk, das den destruktiven Mechanismus phrasenhafter Kommunikation enthüllt.
Überwiegt der erste Rezeptionsstrang, stößt man rasch auf das Mechanische, fast Groschenromanhafte der Erzählung: da erfüllt sich eine unterdurchschnittlich intelligente, hässliche Frau von fünfzig Jahren (Therese Krumbholz) den Lebenstraum, sich mit einem wohlhabenden Mann zu verheiraten, als ein weltfremder Wissenschaftler ihr auf den Leim geht. Oder: Ein Wissenschaftler (Peter Kien), der völlig zurückgezogen lebt, wird von einem wahren Weibsteufel dazu gebracht, sie zu heiraten und dadurch in seiner ganzen Existenz vernichtet. Dass am Ende als rettender Deus ex Machina des Protagonisten Bruder Georges Kien auftaucht, der im ganzen vorherigen Text nie eine Rolle gespielt hat und der die bestialischen Kleinbürger um seinen Bruder verscheucht, passt dazu. (Freilich verhindert der Bruder das böse Ende nur vermeintlich, die Bibliothek geht samt Inhaber gleichnishaft in Anspielung auf den Brand der Biblothek von Alexandria und die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten im Feuer auf.
Canetti war von den Vorlesungen Karl Kraus' fasziniert und gefangen genommen. Kraus verstand es, wie später Qualtinger, sich als Vorleser verschiedenen Rollen sprachlich stark zu assimilieren. Canettis dramatisches Konzept der "akustischen Maske" war das Ergebnis einer befreienden Auseinandersetzung. In der "akustischen Maske" fällt das Kontextuelle, Pragmatische der Sprechsituation weg, Sprache wird auf ihren Inhalt reduziert und wörtlich genommen. Erkennt der Eine in einer kommunikativen Situation die Phrase nicht als Verschleierung von Interessen und nimmt sie wörtlich, kommt der Andere bei ihm seinem Ziel zu manipulieren. näher.
Die Hörbuchfassung der "Blendung" in der Bearbeitung von Helmut Peschina reduziert den Text auf wesentliche Dialoge, Erzähltexte werden - sehr schön - von Peter Simonischek vorgetragen. Dies ist ein Kunstgriff, der dem Buch nicht entspricht, da von Canetti konsequent in Figurenperspektiven erzählt wird, die nur wenige Male von einer erzählenden Instanz fast unmerklich transzendiert werden. Es ist mehr das "Dolle" der Geschichte, das in der Hörspielfassung herausgearbeitet wird, denn das Abgründige der Kommunikation. Auch wenn der Beitext sich auf die österreichische sprachkritische Tradition beruft, für mich wurde dies in der Umsetzung nicht hörbar.
Dennoch lohnt es, sich für den Genuss dieser "Blendung" einige Stunden Zeit zu nehmen: An Sprechern wurde eine Elite des deutschsprachigen Schauspiels aufgeboten. Felix von Manteuffel spricht Kien, Libgart Schwarz bringt das Kunststück zustande, die primitive Sprache der Therese mit einer schönen Zunge auszustatten, sehr glaubhaft gibt Wolfgang Böck den Hausbesorger Benedikt Pfaff; auch die kleineren Rollen sind mit Wolfgang Michael (Georg Kien), Robert Meyer (Fischerle), Peter Matic (Kommandant), Fritz Karl (Verkäufer), Hermann Schmid (Blinder), Karl Ferdinand Kratzl (Hausierer), Johanna Tomek (Frau Fischerle), Karl Menrad (Chef), Brigitte Swoboda (Fischerin), Peter Strauß (Kanalräumer), Alexander Bernard, Radovan Grahovac, Volker Schmidt, Leslie Malton, Valentin Scholz prominent besetzt. Die Interaktion dieser hervorragenden Sprecher, nicht die Regie, macht auch das Besondere dieses Hörbuchs aus.
Originalbeitrag
Veronika Doblhammer
14. Juli 2003