Es geht uns gut
Es liest der Autor
4 CDs
Spielzeit: ca 305 Min
24,95 Euro
ISBN: 978-3-89940-853-9
München: Der Hörverlag, 2006
Es war eine Erfolgsstory sondergleichen: 5.000 Stück erwartete der Münchner Hanser Verlag von Arno Geigers Roman "Es geht uns gut"zu verkaufen. Es wurden mehr, viel mehr. Bis dato verkaufte sich der Roman 200.000mal, an die 400 Rezensionen sind erschienen, Übersetzungsrechte wurden an 14 ausländische Verlage veräußert. Verkaufsfördernd war vor allem die im Herbst 2005 erfolgte Zuerkennung des erstmals vergebenen Deutschen Buchpreises für den besten Roman des Jahres, was eine ungeheure Aufmerksamkeitswelle auslöste und ja auch (in Anlehnung an den französischen Prix Goncourt) das Ziel des Preises ist. Ohne den Buchpreis - schätzt Geiger - hätte er vielleicht 40.000 bis 50.000 Stück seines Romans abgesetzt.
Nun erschien die vom Autor gelesene Hörfassung von "Es geht uns gut". Geiger hat den Roman stark gekürzt, kurze, die Zuhörer vielleicht verwirrende Dialoge nicht gelesen und vor allem die Gegenwartshandlung zurückgenommen. Geiger empfindet das Hörbuch als "Ergänzung oder Einstieg zum gedruckten Text" So weit muss man nicht gehen, die Hörfassung steht für sich alleine, erzählt trotz der Kürzungen eine homogene, abgeschlossene Geschichte, kann aber natürlich nicht so weit in die Figuren vordringen wie die Buchfassung.
Zur Handlung des Romans: Philipp Erlach erbt nach dem Tod der Großmutter die Familienvilla. Wirklich glücklich ist er damit nicht, erbt er doch auch die Erinnerungen mit, die sich Generation um Generation im Haus aufgeschichtet haben wie der Dreck auf dem Dachboden: "Dutzende Tauben, die sich hier eingenistet und alles knöchel- und knietief mit Dreck überzogen hatten, Schicht auf Schicht wie Zins und Zinseszins, Kot, Knochen, Maden, Mäuse, Parasiten, Krankheitserreger (Tbc? Salmonellen?). Er zog den Kopf sofort wieder zurück, die Tür krachend hinterher, sich mehrmals vergewissernd, daß die Verriegelung fest eingeklinkt war.
Auf der Gegenwartsebene des Romans, die sich von April bis Juni 2001 erstreckt, schildert Geiger seinen Helden Philipp als passiven, nie wirklich erwachsen gewordenen Zeitgenossen, der beziehungslos in seine Tage lebt. Seine Beziehung zur verheirateten Johanna ist brüchig, die Familie lehnt er ab, zu Schwester und Vater hat er kaum Kontakt. Aber je mehr er die unglückliche Familiengeschichte vergessen machen will, desto mehr verstrickt er sich in sie. Fotos erinnern ihn an früher, an den strengen, gefühllosen Großvater, einem Minister und "Macher" der Nachkriegszeit, an die Großmutter Alma, die sich nur in ihrer Imkerei verwirklichen konnte, an den intelligenten, aber gescheiterten Vater und an die unglückliche Mutter, die an ihrem Alltag als Ärztin, Hausfrau und Mutter litt. Klug versteht es Geiger, diese Rückblenden, die jeweils nur einen Tag aus der Sicht eines der Familienmitglieder beschreiben, mit der Geschichte Österreichs zu verknüpfen. Individuelle und überindividuelle Geschichte(n) laufen parallel, bieten dem Leser die Möglichkeit zur Identifikation. Elegant entwirft Geiger damit ein bemerkenswertes Panorama der österreichischen Nachkriegszeit.
Der Sinn einer Autorenlesung liegt für den Autor darin, dass der Zuhörer eine Vorstellung davon bekommt, wie der Autor seinen Text "denkt". Diese Vorstellung bekommt man beim Zuhören. Geiger hat eine eindrückliche Stimme, trotz des Bemühens um hochdeutsches Sprechen ist die alemannische Herkunft des Autors unverkennbar. Es hakt und kracht in Betonung und Aussprache, aber ebendies macht Geigers Stimme zu einer eindrücklichen, unverwechselbaren. Es ist eine authentische Stimme, der man gern zuhört und der man das Erzählte auch glaubt. Von daher ist die Hörfassung auch nicht als bloßes Nebenprodukt abzutun, sondern als eigenständiges Werk zu begreifen.
Mag das Vorlesen dem Hörer angenehme Stunden bescheren, so war es für Geiger eine Qual. Nach zwei Stunden Lesen fühlte er sich, "als wäre einem eine ganze Armee auf Socken durchs Maul geritten."
Peter Landerl
27. November 2006
Originalbeitrag
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