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Thomas Glavinic: Das bin doch ich

Das bin doch ich. Audiofassung: Thomas Glavinic Es liest: Thomas Maurer Regie: Sabine Hildebrandt, Jens Kronbügel, Joszi Sorokowski ISBN: 978-3-8337-2137-3 4 CDs Spielzeit: 4 Std. 54 Min. Hamburg: Jumbo Neue Medien & Verlag 2008

Der Autor als Narziss, der sich selbst und sein Schriftstellerdasein zum Thema seiner Literatur erhebt. Nachdem Selbstbespiegelung und Nabelschau der Popliteraturgeneration vorgehalten wurde, scheint das Thema nun wieder eine Renaissance zu erfahren. Es betreten Bücher das literarische Parkett, die dieses mit formaler Raffinesse und Ironie zum Thema machen, etwa Wolf Haas' Interviewroman "Das Wetter vor 15 Jahren". Auch Dokumentationen wie die 3-sat Doku über das Entstehen von John von Düffels Roman "Houwelandt", in der die Arbeit des Autors von der ersten Verlagskonferenz bis zur Vorstellung des Buches bei Elke Heidenreich dokumentiert wird, belegen das Interesse am voyeuristischen Blick auf den Autorenschreibtisch. Ist der Trend zur Doku-Fiction, der das Fernsehprogramm seit geraumer Zeit dominiert, nun auch in der Literatur angekommen? Dass man mit diesem Stoff erfolgreiche Bücher schreiben kann, beweist auch Thomas Glavinic, mit Jahrgang 1972 sogenannter Jungautor und jüngst von der FAZ als einer der "alpinen Ausnahme Autoren" gehypt, mit seinem 2007 im Hanser Verlag erschienenen Roman "Das bin doch ich". Nun ist eine Hörbuchfassung im Hamburger Jumbo-Verlag erschienen, die vom Wiener Kabarettisten Thomas Maurer eingelesen wird. Hauptfigur von Glavinic Roman ist Thomas Glavinic, der nach getaner Arbeit für seinen Roman "Die Arbeit der Nacht" einen Verlag sucht. Ein bisschen wirkt das so, als hätte Glavinic wie John von Düffel eine Kamera aufs Bügelbrett gestellt, die ihm im Alltag über die Schulter schaut. Wir begleiten den Autor über die Monate der Verlagssuche, alltäglicher Nervenkitzel ist das Warten auf eine erlösende Nachricht von Literaturagentin Karin Graf, bis hin zur ersten Lesung im Museumsquartier. Der steinige Weg zum erhofften und stets angezweifelten Erfolg wird konterkariert durch Meldungen über den Höhenflug, zu dem Autorenkollege und Freund Daniel Kehlmann in diesem Zeitraum ansetzt. Regelmäßig trudeln die SMS-Botschaften über Auflagenzahlen im fünf- und bald im sechsstelligen Bereich ein, die zu entnervten Ausrufen des weniger erfolgreichen Freundes führen: "55.000 Exemplare, und ich warte, dass mich Karin Graf anruft!" Als ein Journalist in der Süddeutschen schreibt, Kehlmann "sei der beste Autor seiner Generation" zuckt Glavinic zusammen: "Das bin doch ich".

Beschrieben werden neben den Tiefen des drögen und unglamourösen Autorenalltags zwischen Computerspielen, Vaterpflichten und Kaffeehausbesuchen auch die Absurditäten des Wiener Kulturbetriebs. Satirische Highlights sind der Besuch einer Performance in der Volkstheater-Nebenspielstätte "Hundsturm" und die Beschreibung des kulturpolitischen Tauziehens während der Jury-Konferenz zur Vergabe des Wiener Filmpreises. Bei der Performance deklamiert eine Schauspielerin auf einer Bierkiste stehend Jelinek-Verse aus "Lisas Schatten", eine Szene, die durch die eindringliche Darstellung von Thomas Maurer in der Hörbuchfassung zusätzliche Komik gewinnt, und bei der der Roman-Glavinic schließlich vor drohender Zuschauerbeteiligung flüchtet. In der Jurykonferenz tönt es ebenso hohl, wenn eine Jurorin nicht mehr von ihrer Argumentationsschleife abweicht: "Ich bin für eine Doku. Ich lebe in einem rechtskonservativen Land, dagegen muss man etwas tun." Der Autor darauf trocken: "Das hätte wirklich etwas Gutes. Wir könnten uns nächstens das Anschauen ersparen und gleich die von der kommunistischen Jugend eingereichten Filme auswählen."
Das ist komisch, bliebe aber Geplauder aus dem Nähkästchen, das nur Kollegen, Möchtegernschriftsteller und hartgesottene Literaturfans interessieren dürfte. Allerdings geht es in "Das bin doch ich" um mehr als das. Im Verlauf des Erzählens sind es die Neurosen des Autors, die sich ins Blickfeld schieben. Er ist von Flugphobie ebenso geplagt wie von der Angst, nächtens volltrunken Hassmails an Kritiker und Kollegen zu schicken, an die er sich am nächsten Tag nicht mehr erinnern kann. Besonders lebhaft zeigt sich die momentan unausgelastete schriftstellerische Einbildungskraft auf dem Feld der Gesundheit. Dieses Ich ist hoffnungslos hypochondrisch und weiß das auch. Die Angst vor eingebildetem Hodenkrebs bestimmt jeden Gang zur Dusche. Die Gefahr einer Tetanus- oder Vogelgrippeinfektionen wird beim kleinsten Kratzer oder lästigen Vogelkotpatzer erwogen. Zahnarztbesuche und längere Bahnfahrten werden für den Protagonisten zu einem Höllenritt. Überhaupt die Hölle, das sind die anderen, die unerträglichen Mitmenschen, die einem mit Nudelsalatkonsum die Bahnfahrt verleiden und einen in die erste Klasse und die misanthropische Misslaunigkeit treiben. Der Autor zwischen den Buchdeckeln scheint manchmal so allein auf der Welt wie seine Romanfigur Jonas, der im besagten Vorgängerroman, in einem Wien aufwacht, aus dem alle Menschen verschwunden sind.
Der Schriftsteller, der hysterisch kränkelt, Probleme mit den Anforderungen des normalen Lebens hat, einen unregelmäßigen Tagesrhythmus pflegt, nicht die solideste Besetzung für einen treusorgenden Familienvater ist und seine Abende mit den üblichen Verdächtigen versäuft: Es ist das Autorenklischee par excellence, mit dem hier kokettiert wird. Glavinic entwirft mit seinem literarischen Alter Ego eine zeitgenössische Variante von Spitzwegs "armen Poeten", nur dass er nicht schniefend in der Dachkammer hockt, sondern das überzogene Konto, die Liebesbedürftigkeit des kleinen Sohnes oder die Bitten der sehr geduldig scheinenden Ehefrau das kreative Fluidum stören. Er geht dabei mit einer gehörigen Portion Selbstironie zu Werke und das macht das Stolpern dieses Literaturclowns so sympathisch. Wir lachen auch, weil die literarische Überspitzung Ängste und Situationen berührt, die wir selbst nur zu gut kennen. Der ironische Duktus wird durch den detailgenauen Realismus noch verstärkt. Fiktiv verbrämt wird in diesem Roman nichts. Personen und Institutionen des Wiener Literaturbetriebes werden beim Namen genannt, die Fakten halten der Nachprüfung stand. Das erspart dem Leser beziehungsweise Hörer Verballhornungen von Romantiteln und gelungene oder weniger gelungene Anspielungen und schafft scheinbar einen voyeuristischen Einblick hinter die Kulissen. Es handelt sich bei Glavinics Realismus jedoch klar um eine ästhetische Setzung und ein Verwirrspiel, das er gekonnt durchzieht. Eine unterhaltsame Idee, ein Buch über die Zeit bis zum nächsten Buch zu schreiben; ob der Blick in die eigene Klause nur einem Trend geschuldet war, oder ob daraus Bücher entstehen, die "bleiben", ist eine Frage, die man sich beim Lesen aber dann doch irgendwann stellt.

Der aktuelle Erfolg jedenfalls ist eingetreten. Die Wirklichkeit schreibt den Roman weiter und hat die passende Pointe parat: "Das bin doch ich" endet mit der Enttäuschung, dass der Roman "Die Arbeit der Nacht" nicht auf die Longlist der jährlich für den Deutschen Buchpreis nominierten Romane kommt. Die literarische Doku-Fiction erweist sich als erfolgreicher als der rein fiktive Vorgängerroman: "Das bin doch ich" schafft es ein Jahr später auf die Shortlist der letzten sechs potentiellen Gewinner des Frankfurter Preises.

Für die Hörbuchumsetzung, deren Textfassung von Glavinic selbst vorgenommen wurde, ist der Roman mit seinem lockeren, humorvollen Erzählduktus sehr gut geeignet. Thomas Maurer trifft einen natürlichen und unaufwändigen Ton, dem man gerne zuhört. Die Pointen setzt er mit kabarettistischer Routine trocken und gekonnt und in den dialogischen Passagen gibt er vom Kleinkind bis zur steirischen Oma den Stimmenimitator. Aber auch konzeptionell ist Thomas Maurer, der Glavinic im Rahmen seiner Literatursendung "Lesen" kennengelernt hat und daraufhin die Bühnenfassung seines Krimis "Der Kameramörder" als One-Man-Show gespielt hat, die ideale Besetzung. Schließlich kommt er gleich mehrfach als Figur in "Das bin doch ich" vor. So schreibt nicht nur Glavinic über Glavinic, sondern spielt auch Thomas Maurer Thomas Maurer. Das Regieteam Sabine Hildebrandt, Jens Kronbügel und Joszi Sorokowski hat sparsam eingerichtet, ab und an erklingt ein SMS-Summen, ansonsten wird auf die imitatorischen Qualitäten von Maurer gebaut. Alles in allem: unterhaltsamer Hörgenuss, nicht nur für literaturaffine Gemüter.

 

Sigrid Meßner
16. April 2008

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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