eine sprech oper
MC
Spielzeit: 98 Min.
ISBN 3-901 317-14-7
Wien: Ohrbuch Verlag 1999
Im Zuge der Ausarbeitung der Sprechoper "aus der fremde", für den Steirischen Herbst 1979 geschrieben und in Graz auch uraufgeführt, entstand eine von Ernst Jandl selbst gesprochene Arbeitsfassung, die auf der vorliegenden Kassette zu hören ist. Sie unterscheidet sich nur wenig von der Endfassung. Jandl gewann mit dem Stück den Mühlheimer Dramatikerpreis 1980.
"aus der fremde" handelt von einem Schriftsteller, der ein Stück schreibt und dabei Krisen durchlebt.
Das Stück zeigt den Schriftsteller in seiner Privatsphäre: Da ist von Einschlafschwierigkeiten zu hören, vom schweren Aufstehen, von der Einnahme von Medikamenten, der Besorgung der Einkäufe, von der Korrespondenz, die zu erledigen ist. Die Beziehung zu einer Dichterin verläuft nicht wunschgemäß: Zu viele Friktionen trüben das Beziehungsleben. Sie ist die erfolgreichere Schriftstellerin, er kämpft gegen Staubwolken, seinem Drang zum Alkohol und gegen quälend weiße Papierblätter, leidet an der öden Fruchtlosigkeit mancher papierenen Tage.
Das Stück, das er schreibt, sei einfach "alltagsdreck / chronik der laufenden ereignislosigkeit". Historische Dramen wolle er nicht schreiben, diese seien für die "großen historischen dramatiker / diese gebe es schließlich / wenn man die großen unaufgeführten hinzuzähle / zum saufüttern". Das Schreiben fällt einfach schwer, ist mühsame Arbeit. "aus der fremde" konterkariert das romantische Bild des genialen Dichters, dessen Sätze von Herz und Kopf förmlich widerstandslos aufs Papier fließen. Gegen die Schreibhemmung nützen die verschiedenen Verfahren der Selbstreflexion nicht, selbst das Verlassen der gehassten Schreibhöhle fällt schwer: "das düstere Treppenhaus / zeige ihm / dass er hier fremd sei". Das Stück endet mit dem Zu-Bett-Gehen des Dichters.
Zweifellos trägt das Stück autobiografische Züge, doch die Schublade, in der "aus der fremde" steckt, ist mit dem Schlagwort Antidramatik beschriftet. Jandl hat es mit diesem Stück dem Rezipienten nicht leicht gemacht. Das Stück verwehrt sich einer stringenten Auslegung, erscheint als monolithischer Monolog, von Dialogen durchsetzt zwar, aber wird hier wirklich kommuniziert? Der Inhalt ist nur schwer destillierbar, weil Jandl das Stück mit Verfremdungsschleiern verhüllt hat. Einer davon ist der Konjunktiv, die Möglichkeitsform, die als ein Distanzhalter fungiert. Möglichkeit schafft Illusion, aber keine Identifizierung. Diese erschwert auch die Rede in der 3. Person. Ein dreifacher Motor, wie es einmal im Stück heißt: Objektivierung, Relativierung, Zerbrechen der Illusion. Ab der 5. Szene schließlich werden die Sätze mit der Konjunktion "dass" eingeleitet, was die Distanzierung noch einmal erhöht. Jandls Versdrama verweigert sich trotzig: Der Schreibprozess ist mühselig und heilig, nicht für jedermann zugänglich und abbildbar.
Was dieses Hörbuch so hörenswert macht, ist Jandls Rezitativton: Er spricht und singt, trägt seine Sprechoper in seiner unnachahmlichen Art vor. Seine Intonation erinnert dabei an Messbesuche an hohen Festtagen, bei denen der Pfarrer das Evangelium feierlich in einem Singsang vorgetragen hat: Jandl als Vorbeter. Obwohl auf der vorliegenden Kassette "nur" eine schlichte Arbeitsfassung zu hören ist, die Jandl als Hilfestellung für die Schauspieler aufgenommen hat, ist nie ein Mangel wahrzunehmen. Da sind keine Leerstellen zu bemerken, Jandls Stimme füllt den Raum, den die schlichte Inszenierung aufgetan hat, bravourös auf. Spürt man in den ersten beiden Szenen noch eine gewisse Zurückhaltung, so steigert er sich mit Fortdauer des Stücks in einen wahren Sprechrausch: Jandl pur.
Zwanghafte Künstlichkeit, Denaturierung der Akteure, abgezwackte Episierung, strophische Askese, defekte Figurenindividualität, ausgemergelte Redeperformanz: Eine Reihe von Zuschreibungen, die in germanistischen Analysen des Stücks zu lesen waren. Klingen zwar gut, treffen den Kern des Stücks aber nicht. "aus der fremde" ist kein Stück, das analysiert werden muss, um es zu verstehen, das nach Interpretation schreit. Seine Wirkung zeigt es, wenn man sich auf Jandls Sprech-Spiel einlässt.
Originalbeitrag
Peter Landerl
4. Februar 2003