Erwin Steinhauer liest 3 CDs
Spielzeit: ca. 238 Min.
ISBN: 3-7085-0013-X
Preiser Records 2002
Alfred Hahn liegt tot in seinem Weinkeller. Gärgas. Ein schneller, sanfter Tod. Ein natürlicher Tod, meint der Gemeindearzt. Simon Polt, der Gendarmerieinspektor, überbringt der Gattin die Todesnachricht. Doch die Ehefrau beklagt den Tod ihres Mannes nicht. Jetzt ist sie frei, jetzt wird sie nicht mehr geschlagen, keine Drohungen mehr. Hahn, so findet Polt heraus, war auch den übrigen Dorfbewohnern verhasst, ein richtiges Ekel. Hatte alten, kranken, senilen Leuten um ein Trinkgeld Haus und Hof abgepresst. Hatte in Wien Zinshäuser, in denen er Gastarbeiter unter tristen Bedingungen zu hohen Mieten wohnen ließ. Stiftete im ganzen Dorf Unfrieden, schaffte es, zwischen zwei Nachbarn Streit zu säen und daraus Profit zu schlagen. Und dann war da noch die Geschichte mit dem Buben vom Schachinger, den er beim Kirschenstehlen erwischt hatte und weiß Gott was mit ihm im Keller gemacht hat. Seit dem ist der Junge verängstigt, spricht nicht über das, was da unten passiert ist. "Es hat den Richtigen erwischt." Ein Unfall oder doch Mord? Motive hätten viele. Trinken wir etwas? So fängt üblicherweise ein Gespräch zwischen Männern im Weinkeller an. Die Kellergassen sind patriarchalische Welten. Da regieren Ehre und Tradition, da wird über die moderne Welt geschimpft, wird über die schlechten wirtschaftlichen Bedingungen geklagt. Das Weinviertel, in dem "Polt muss weinen" spielt, ist eine karge Welt, dort ist die Zeit stehen geblieben. In ein paar Jahren vielleicht, die Ostöffnung, die könnte die Gegend an der Grenze wieder beleben. Aber jetzt? Jetzt wandern die Jungen ab, gehen in die Stadt arbeiten. Der Weinbau ist etwas für die Älteren und Alten.
Polt erfährt viel über Hahn, aber wenn es um den Unfall, den Tod geht, trifft er auf eine Mauer des Schweigens. Dann entwickelt die Volksschuldirektorin Karin Walter, die von Simon Polt ein wenig verehrt wird, einen Plan: Man lässt durch die neugierige und redselige Kaufhausbesitzerin Aloisia Habesam ein Gerücht in die dörfliche Welt setzen. Der Plan gelingt. Vier Mörder? Oder doch nur einer? Das ist die letzte, die entscheidende Frage. Per Post trudelt bei Simon Polt ein schriftliches Geständnis ein. Und Polt muss weinen.
Alfred Komarek, bekannter und vielbeschäftigter Autor, Essayist und Journalist, zeichnet in seinen Polt-Kriminalromanen das Weinviertel als eine einfache, archaische, schöne und bedrohte Welt. Wie in seinen anderen Texten ist er ein genauer Beobachter und Schilderer von Kulturlandschaften, also des Landes und seiner Leute. Er zeichnet Sehnsuchtsorte für den stressgeplagten Großstädter. Vielleicht werden die Krimis um Simon Polt deswegen so gern gelesen? Komarek ein Romantiker, ein Idylliker, vielleicht sogar ein Verklärer? Wohl eher nicht. Auch die Idylle zieht die Gewalt an, die kleineren und größeren Auseinandersetzungen. Erwin Steinhauer, kongenialer Darsteller des Gendarmerieinspektors Polt in den Fernsehverfilmungen, liest auf der vorliegenden Hörfassung knapp vier Stunden lang Komareks Roman. Dabei gelingt es ihm erstaunlicherweise, dass dem Zuhörer nie langweilig wird, dass sich die Dörfer, Weinstöcke plastisch vor einem aufbauen, dass einem der Geruch des reifenden Weines in die Nase steigt. Steinhauer liest langsam und bedächtig, lässt den Text wirken, macht oft Pausen, hält sich zurück. Das Leben im Weinviertel geht halt noch langsamer. Nie ist ein anklagender Ton zu hören. Steinhauers warme, weiche Stimme zeigt immer Verständnis für die Leute, Interesse an ihren Motiven. Keine übertriebene, unangebrachte Dramatik. Steinhauer übernimmt auch die Rollen der anderen Figuren, verstellt sich dabei nur wenig, um die Harmonie, die Authentizität nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Da wirkt nichts gekünstelt. Es ist beeindruckend, dass dieser Krimi keine sieben Sprecher, keinen Regisseur braucht, um den Hörer in den Bann zu ziehen. Das spricht zum einen für die Romanvorlage von Alfred Komarek, zum anderen aber für die rezitativen Fähigkeiten Erwin Steinhauers.
Originalbeitrag
Peter Landerl
3. März 2003