der bau. ein erzählfragment von franz kafka
ein hörspiel von olaf reitz
sprecher: olaf reitz
sounddesign: tim buktu & olaf reitz
Spieldauer: 59:58 Min.
produktion: olaf reitz
ISBN 3-9807289-2-7
wuppertal: olaf reitz 2003
György Kurtág: Kafka-Fragments
Op. 24
Sopran: Adrienne Csengery, Violine: András Keller
Gesungen in deutscher Sprache
Spieldauer: 50:40 Min.
Budapest: Hungaroton Classic LTD, 1995
Franz Kafka-CDs gibt es reihenweise, zum Lesen, zum Hören, zum Surfen, interaktiv oder zum Zurücklehnen mit einem guten Gläschen Wein am Abend.Vorgelesen werden die Romane und Erzählungen, der eine oder andere Text vertont, virtuell be- und verarbeitet das Leben und Schaffen, die Liste der Angebote ist beachtlich. Und im Internet wimmelt es selbstverständlich auch von Kafka-Homepages. Literatur und neue Medien aller Art - das ist längst keine Frage der Konkurrenz mehr, sondern vielmehr eine der fruchtbaren Interaktion.
Hier seien nun zwei CDs herausgegriffen und näher betrachtet. Bei der einen handelt es sich um ein Hörspiel mit Sounddesign, angelehnt an die Erzählung "Der Bau", bei der anderen um György Kurtágs eigenwillige musikalische Interpretation diverser Textfragmente aus Kafkas Feder. Die eine kommt aus Deutschland - und die andere aus Ungarn.
Steht beim Hörspiel naturgemäß der Text im Vordergrund, ist er in der musikalischen Interpretation zwar noch vorhanden, aber kaum mehr erkennbar. Zumal selbst nach mehrmaligen Anhören der CD immer noch Unklarheit darüber herrscht, in welcher Sprache eigentlich gesungen wird. (Es ist Deutsch, stellt sich dank des Begleithefts heraus.) Und dieses Begleitheft bringt die besagten Fragmente zusätzlich auch auf Englisch, Italienisch und Ungarisch. In Ungarn ist man traditionell polyglott.
"Der Bau", man kennt die Erzählung, ein Sich-Vergraben, Sich-Verstecken vor der Welt, hat etwas vom Traum der uneinnehmbaren Festung, des unauffindbaren Verstecks, des Refugiums, in dem man ganz sicher ist vor der Außenwelt. Die Beklemmung, die daraus resultiert, dass solche Träume ewig utopische bleiben müssen, steht auch in Olaf Reitz' Bearbeitung im Mittelpunkt, und zwar auf recht dramatische Weise. Kafkas Text dient als Folie für den eigenen Ausdruck eines Zwiespalts, der nicht - wie im Original - mehr oder weniger ruhig und besonnen von allen Seiten betrachtet, sondern stellenweise sehr emotional erlebt wird. Das manifestiert sich nicht zuletzt in der Intonation, die fast alle Stimmlagen kennt, vom (Beinahe-)Flüstern bis zum Beinahe-Schreien.
Das Sounddesign hält sich, was sprachunabhängige Töne und Geräusche betrifft, dezent im Hintergrund, wird nie zum Selbstzweck, sondern beschränkt sich darauf, die Stimmung des Textes zu verstärken, dem Leser Gelegenheit zu geben, in Sprechpausen über das Gehörte nachzudenken, und von einer Passage bis zur nächsten überzuleiten. Und nicht zuletzt dient die Tonkulisse, vor allem gegen Ende hin, auch dem Spannungsaufbau.
Schon seit 1998 hat der 33-jährige Projektkünstler aus Wuppertal immer wieder Hörspiele veröffentlicht, "Der Bau" ist allerdings seine erste CD zu einem Kafka-Text, die er zu Recht mit der "Warnung" versehen hat: "Benutzen Sie Ihre Anlage bitte in gewohnter Lautstärke; es beginnt leise." Und so leise bleibt es tatsächlich nicht, spätestens dann wenn es spannend wird ...
Spannend wird es auch bei György Kurtág, wenn auch auf völlig andere Art und Weise. Während sich Olaf Reitz' Interpretation auch einem ungeübtem Hörer bereits beim ersten Durchgang erschließt, keine sonderlich tiefe Beschäftigung weder mit Kafka noch mit dem Genre Hörspiel verlangt, und den Zuhörer von der ersten Minute an in seinen Bann zieht, erzeugen Kurtágs Kafka-Fragmente zunächst einmal vor allem Befremden. Opernstimme, Dissonanzen, für Laienohren keinerlei Melodie erkennbar.
Kurtágs "Kafka-Fragmente" (Op. 24, 1985) sind ein ziemlich elitärer Kunstgenuss, einfach ist seine Musik gewiss nicht. Der 1926 in Lugoj (Rumänien) geborene Komponist kam nach dem Zweiten Weltkrieg nach Budapest, um sein großes Vorbild zu treffen: Béla Bartók. Zusammen mit György Ligeti besuchte er die Franz Liszt-Akademie in Budapest, die wichtigste Musikhochschule Ungarns, und verschrieb sich der "Neuen Musik", dem Experimentieren mit Klängen. Ab 1967 unterrichtete er als Professor an der Franz Liszt-Akademie.
Vorgetragen werden die "Kafka-Fragmente" von Adrienne Csengery (Gesang) und András Keller (Violine), beide ebenfalls Absolventen der Franz Liszt-Akademie. Adrienne Csengery ist Sängerin an der Ungarischen Staatsoper, András Keller wurde bekannt als Konzertmeister des Ungarischen Staatsochesters und später des Budapester Festivalorchesters sowie als Solo-Interpret zeitgenössischer ungarischer Komponisten wie etwa Béla Bartók, György Ligeti und György Kurtág und gründete 1986 schließlich sein Keller Quartett, das auf internationalen Festivals bereits mehrfach ausgezeichnet wurde. Die Besetzung lässt also nichts zu wünschen übrig.
Die Textfragmente, die Kurtág vertonte, stammen aus den unterschiedlichsten Stellen in Kafkas Werk und bestehen nicht selten nur aus einem einzigen Satz. Der Komponist hat sich aus dem Werk des Dichters seine persönliche Aphorismensammlung zusammengestellt, eigenwillig wie auch seine Musik.
Sabine E. Selzer
26. August 2004