Rainer Maria Rilke: Duineser Elegien
Sprecher: Otto Clemens
Spielzeit: ca 65 Min.
ISBN 3-7085-0006-7
Preiser Records 2002
Rainer Maria Rilke: Prosa und Gedichte
Sprecher: Axel Grube
Spielzeit: ca 79 Min.
ISBN 3-933691-26-3
Düsseldorf: onomato Hörbücher, 2002
Wenn Otto Clemens mit sonorer Stimme einsetzt "Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen"?, ist sofort klar, dass sich die Meinungen über seine Art der Rilke-Rezitation scheiden werden. Wer es pathetisch liebt, wird mit seinem verhalten gurrenden, singenden Vortrag zufrieden sein.
Wer sich von einer nüchterneren, den hohen Ton der "Duineser Elegien" brechenden Lesart mehr Spannung und auch mehr Gehalt für den Text verspricht, wird mit dieser Einspielung nicht viel anfangen können. Rilke so zu lesen, dass er heute noch hörbar und auch "verstehbar" ist, ist zweifellos eine schwierige Aufgabe. Otto Clemens' völliger Verzicht, den Vortrag mitunter etwas gegenläufig oder auch widerständiger anzulegen, macht es unmöglich, die Elegien "neu" zu hören. Die im Text angelegte Tendenz zum überzogenen Pathos samt den zahlreichen "O"s und "Ach"s wird in dieser Interpretation gleichsam um eine Stufe höher gedreht und damit schwer ertäglich.
Was Otto Clemens' Rezitation damit erreicht, ist eine Art Parallelinterpretation eines ganz anderen Werkes, nämlich Elfriede Jelineks "Wolken.Heim.". Immer wieder vorkommende Phrasen wie "Denn wir, wo wir fühlen ..." "Aber wir, die so große Geheimmnisse brauchen ..." oder "Weh mir: wir sind's doch ..." - erinnern frapant an Jelineks Zitatmontage über den Zusammenhang zwischen der Neigung zum hohen Ton in der deutschen Literatur und (prä)faschistoiden Tendenzen. Vielleicht wäre es lohnend, nach Rilke-Spuren in Jelineks Text zu fahnden, die, soweit ich sehe, bislang noch nicht wahrgenommen worden sind.
Axel Grube ist der Sprecher einer zweiten Rilke-Einspielung, in der kostbar bibliophilen Ausstattung seines onomato-Verlages. Die Silberscheibe ruht auf schwarzem Samt und wird von einem hübschen Pappcover mit Schnürverschluss stilvoll umhüllt. Auch Axel Grubes stimmliche Interpretation ist in ihrer spröderen, distanzierterten Herangehenswise ansprechender. Seine abgehackte Sprechweise macht Enjambements hörbar und überspielt oft allzu einlässige Periodenbildungen mit einer dem Text entgegenarbeitenden Satzmelodie. Das mag nicht durchgängig geglückt sein, jedoch werden abgegriffenere, allzu populäre Gedichte wie "Herbsttag" oder "Der Panther" auf diese Art tatsächlich wieder (neu) hörbar. Dass Grube dabei die Titel weglässt, als wären Gedichttitel nicht Bestandteil des Textes, ist allerdings schwer nachvollziehbar. Und das gilt auch für die Auswahl der Texte.
Einige davon (Auszüge aus "Der Brief des jungen Arbeiters", der neunten Elegie und den "Sonetten an Orpheus" u. a.) sind von Axel Grubes 2000 erschienenen Rilke-CD bei onomato übernommen. Das erinnert an die schlechte Gewohnheit mancher Sammelausgaben, die alle paar Jahre um einige Texte erweitert neu aufgelegt werden und den Interessierten dazu zwingen, im Lauf der Jahre viele dickleibige Bücher anzuhäufen, von denen jedes viel Altbekanntes und nur einige wenige Neuheiten birgt.
Die breit gestreuten Textauszüge aus Briefen, Aufsätzen, aus dem "Stundenbuch" ebenso wie aus den "Sonetten an Orpheus" und den "Duineser Elegien" ergeben in ihrer Disperatheit und auch sprachlich sehr unterschiedlichen Qualität kein wirkliches Bild der dahinterstehenden Intention, außer vielleicht eine starke Betonung des religiösen Aspekts. Dass die Texte gerahmt sind von willkürlich mitten im Text einsetzenden Auszügen aus der neunten der "Duineser Elegien" ist eine schmückende Idee, die dem Text und dem Autor aber nicht gerecht wird. Vielleicht wäre es auch einfach hilfreich gewesen, wenn der Einspielung Informationen über die Gründe für genau diese Auswahl und Aneinanderreihung beigeben worden wären.
Originalbeitrag
Evelyne Polt-Heinzl
21. Jänner 2003