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Joseph Roth: Briefe aus Deutschland

Joseph Roth: Briefe aus Deutschland
Es liest: Bernd Hahn
2 CDs
Spielzeit: 132 Min.
ISBN 3-89813-157-2
Der Audio Verlag 2001

Bernd Hahns angenehm klare und verhalten mimetische Stimme passt hervorragend zu Joseph Roths präziser und durchsichtiger Sprache. So wirken seine Sätze, wie sie sind: kristallen, genau und so, als wäre in jedem von ihnen die Anteilnahme des Autors zu verspüren.
Zwischen November 1927 und Jänner 1928 waren in der "Frankfurter Zeitung" unter dem Pseudonym "Cuneus" Roths "Briefe aus Deutschland" zu lesen: subtil angefertigte Röntgenbilder aus dem politischen, sozialen und kulturellen Alltag Saarlands, das nach dem 1. Weltkrieg für die Dauer von 15 Jahren dem Hoheitsgebiet von Frankreich unterstellt und vom Völkerbund verwaltet wurde. Roth hatte seine journalistische Karriere 1919 bei der Wiener Tageszeitung "Der neue Tag" begonnen. Seit 1923 war er Mitarbeiter der renommierten "Frankfurter Zeitung". Eine Serie von aufregenden wie aufsehenerregenden Reportagen, Reisebildern und Städteporträts u.a. zu Russland, zu Albanien, Polen, Italien und Deutschland waren von ihm bekannt.

Was Roth auch in seinen Saar-Reportagen keineswegs verhehlt, ist seine persönliche Art der Berichterstattung, vielmehr lässt er seine LeserInnen teilnehmen an seinem Prozess der Wahrnehmung. Durch die Lesung der Reiseaufzeichnungen wird dieser Aspekt noch verstärkt. Man fühlt sich als HörerIn ins Vertrauen gezogen. Man folgt dem Autor als Reisenden. Folgt geradezu den Bewegungen seiner Augen, ist beruhigt über das Unspektakuläre, Unscheinbare des Gesehenen und erstaunt über die Kraft, mit welcher der Autor die Oberflächen durchdringt, Beziehungen herstellt oder Querverbindungen andeutet.

"Ich hasse die Grenzen zwischen zwei Ländern." Roths Reise ins Grenzland beginnt mit seiner Anfahrt mit dem Zug (Passkontrolle, Währungsumstellung) und einem Besuch in Metz beim Schriftsteller W., der ihn in der Stadt herumführt. Sein Blick tastet an Straßen und Häusern entlang, gleitet dann aber flink von den Fassaden zu den scheinbar unsichtbaren Schaufenstern: Sie zeigen die dahinter liegenden Waren nicht nur, "sie prahlen mit ihnen". Und auch hier sind Grenzen gezogen, die Schaufenster sind "Mauern aus Eis". Für die Großzahl der Menschen auf den Straßen nur schwer zu überwinden. Untrüglich ist Roths Wahrnehmung für jene Art von Grenzlinien, Rissen und Sprüngen, die entlang der Bedürfnisse der Menschen verlaufen, die ihren Ansprüchen und Träumen, ihren Möglichkeiten und Wirklichkeiten die Konturen verleihen.
Saarbrücken: Der Bahnhof, "der traurigste aller Bahnhöfe, in denen ich jemals ausgestiegen bin", geht bruchlos über in die "Bahnhofsstraße"; wiederum großstädtische Schaufenster, zu groß für die kleine Stadt, schlechte Zeiten für KäuferInnen und VerkäuferInnen. Regen verstärkt die Bitternis auf den Gesichtern der Menschen.

Eine "verrußte Traurigkeit" beherrscht auch Neunkirchen. Am Zahltag, dem Feiertag für die Arbeiter, berichtet der Autor über seine Eindrücke in einem Warenhaus: Minutiös beschreibt er, wie eine Arbeiterfrau das Warenhaus des Herrn H. betritt (um es dann wieder zu verlassen - ohne jene Hose, die sie eineinhalb Stunden "zu kaufen versucht hatte"). Es sind bestimmte Elemente ihrer Erscheinungsweise, kleine Bewegungen, an denen sie sich gewissermaßen ausweist, etwa wie sie die automatische Tür noch ausdrücklich mit der Hand zu schließen versucht. Wie wäre es, wenn er sie in eine Dame der vornehmen Gesellschaft verwandelte" Gering und leicht zu verwischen wären die Unterschiede zwischen zwei Schichten, meint der Beobachter.

Roth berichtet noch über eine ganze Reihe von Personen: einen vielleicht doch nicht reaktionären Abbé, einen Minister, mit dem man sich unterhalten kann, einen Rechtsanwalt, der Bücher liest (und dazu noch Roths eigene)... Immer wieder sind es die Menschen und ihre Lebensbedingungen, die bei Roth ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken, sei es im Kaffeehaus, im Vorstadtrestaurant, bei einer Volksversammlung, sei es am Tag, am Abend oder "Unter Tag", wie eine seiner "Briefe" übertitelt ist. "Unter Tag" führt ins Erdinnere. Es ist der Bericht über einen Kohlengrubenbesuch, die Arbeitsbedingungen, ja Lebensbedingungen da unten, wo es einen aufrechten Gang nicht gibt: "Ich habe mich gefaltet, vier mal gefaltet."
Wer das gesehen - wendet sich der Reporter gegen die "Theoretiker der Gewohnheit" und an den/die Adressaten/in -, wird nie mehr sagen, "dass die Gewohnheit eine Macht sei und dass ein Leid, in dem man ein ganzes Leben verbringt, nicht gefühlt werde." Denn: "Der Hinweis auf die Gewohnheit ist der Trost der unzulänglichen Herzensgüte."
Zusammen mit dem Abschnitt über "Das Werk" ("man erzeugt dort keine Gedichte"!), in dem man dem Berichterstatter vor die Feuerkessel der Hochöfen folgt, erinnern diese Saar-Berichte heute an die zehn Jahre später in England erschienene Reportage "The Road to Wigan Pier" von George Orwell. Orwell hat damit eine nüchtern-kraftvolle Bestandsaufnahme der Grubenarbeiter-Slums in Lancashire und Yorkshire geliefert und eine heftige Diskussion in seinem Land ausgelöst.

Der Spannungsreichtum von Roths eindrücklichen Reisebeschreibungen aus dem Saarland wird durch einen zufälligen Umstand noch gesteigert. So gab es bereits sehr bald nach Erscheinen der ersten "Briefe" eine Reaktion in der "Saarbrücker Zeitung". Es gebe nicht nur Regen und Ruß, sondern auch eine Barockkirche in Saarbrücken. "Cuneus" alias Roth geht in einer der folgenden Berichte darauf ein. Eine weitere Reaktion von demselben Zuschreiber folgt. Auf diese Weise entspinnt sich - an die dialogische Struktur des Briefes anschließend - unterirdisch und in nuce eine Diskussion über die Form des Genres selbst.

PS.: Den beiden CDs beigelegt ist ein Booklet mit hübschen alten Abbildungen u.a. zu Saarbrücken sowie einigen nützlichen Textbeilagen (das in Form eines Glossars auch einzelne Stichwörter bzw. Namen aus dem Text erläutert).

Originalbeitrag

Martin Reiterer
10. April 2002

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