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Kathrin Röggla: Irres Wetter

Autorenlesung
Sprecherin: Kathrin Röggla
ISBN: 3-933199-19-0
Spielzeit: 76 Min.
Der Audiobuch Verlag 2000

"Sie hören Texte aus dem Buch 'Irres Wetter' von Kathrin Röggla, gelesen von der Autorin", so informiert den Hörer die wohlgemessen-forsche Frauenstimme, um gleich darauf daranzugehen, den ersten der sieben Prosatexte, die auf der CD vertreten sind, vorzutragen und dabei fast schon allzu engagierte Interpretationsarbeit zwischen bedeutungsschwangerem, gehetztem und lakonisch-sachlichem Tonfall zu leisten. Eine AutorInnenlesungs-Stimme eben, die es auch nicht verfehlt, ein abgedunkelt-rauchschwadendurchzogenes Literaturcaféambiente vor die geschlossenen Augen zu zaubern, und genau darin liegt - paradoxerweise - das Problem, das mich oben ein "allzu" vor das Wort "engagiert" setzen ließ: Der Charme des so beschworenen Lesungsambientes besteht ja genau darin, daß es sich um ein Ambiente handelt, aus dem man sich schnell und ohne großen Aufwand ausklinken kann, um sich ganz auf den Vortrag zu konzentrieren. Der "naturalistischen" Lesungsatmosphäre auf der CD jedoch mangelt es im Gegensatz zum abgedunkelten Caféhaus an einem Focus mit direktem Bezug zum Text, an den sich die Augen heften können, wenn die Konzentration kurz einmal nachläßt (id est der/die live lesende DichterIn). Über die Qualität der Texte ist damit allerdings noch nichts gesagt. Kathrin Rögglas Texte, soweit sie auf der CD "Irres Wetter" vertreten sind, allesamt mit Berlinbezug ausgestattet, scheinen auf den ersten Blick seltsam farblos. Da dieser erste Blick - zumindest meiner - aber durch die oben erwähnte Lesungsstimmen-Nebelmaschine getrübt wurde, hört man bereitwilligst ein zweites Mal hin.

Und wenn man nicht von dem eher häßlichen Cover abgelenkt wird, das neben dem CD-Player liegt, findet man sieben Tableaus, erzählt in einer erstaunlich konsequent angewandten, stilistisch sehr geradlinigen Prosa, die geprägt ist vor allem von zwei Stilmitteln (wenn man denn dafür dieses Wort verwenden will): Erstens das spielerisch angewandte Verschwimmen der Grenze zwischen auktorialer Beschreibung und dem Dialog der Figuren, und zweitens die sparsam, aber gekonnt geübte Verwendung von Neologismen und ähnlichen Minimalelementen experimentell-literarischer Provenienz als integraler Bestandteil des - sprachlich ansonsten ganz konventionellen - Textflusses. Ersteres Stilmittel kennzeichnet oft Anfänge (ob jetzt die eines Absatzes, soweit so etwas nur beim Hören zu bestimmen ist, oder die eines ganzen Textes), letzteres findet bei Kathrin Röggla vor allem Verwendung, um aphoristisch-lakonische "Schlußstriche" (wiederum: unter in sich geschlossenen Abschnitten ebenso wie unter kompletten Texten) vorzubereiten.

Daß all das, was diese Texte reizvoll macht, letztlich auf der Ebene dieser - oberflächlich nicht ganz so ohne weiteres ersichtlichen - Oszillation seine Verwurzelung hat, die zwischen den beiden Konstruktionselementen stattfindet, wird evident an der Fähigkeit der Autorin, vom Konkreten ins Abstrakte zu wechseln und zurück, ganze Loopings des Hin-und-her hinzulegen, ohne die Konzentration auf den roten Faden aufzugeben, den ihre Nicht-ganz-aber-doch-eher-als-sonstwas-Erzählungen ganz eindeutig haben. Ein Ende wird zu einem Anfang, eine zunächst die Handlung transzendierende Ansage liegt plötzlich im Mund oder Kopf einer der Figuren herum und deren Dialog beginnt sich aufs neue zu entspinnen, bevor er, viel später, unmerklich zunächst, aufgehört hat, einer zu sein, weil plötzlich ein Wort oder Topos die genaue Schilderung eines Schauplatzes oder einer Biographie geradezu provoziert hat. An den Stellen, wo einem dieser Aufbau bewußt wird, bedauert man fast, es nicht mit einer Hörspielbearbeitung des sicherlich lesenswerten Buches zu tun zu haben, aber doch: Jedesmal, wenn - unausweichlich - der "Aphorismus aus dem Off" kommt, ist man froh, daß er nie in Gefahr kam, solch einer Bearbeitung zum Opfer zu fallen.

Das, was Kathrin Rögglas eigentliche Arbeit zu sein scheint, ist das Auffüllen des Raums zwischen den Alphas und Omegas (die für sie fraglos ein viel komplexeres Netz über die Dinge spannen als leichthin vorstellbar) mit Geschichten, mit Plot. Im Zuge dieser ihrer Arbeit gelingt es ihr nun - wie gesagt, mutmaßlich unter Zuhilfenahme eines oberflächlich unsichtbaren Analogiengeflechts - die unwahrscheinlichsten Verknüpfungen und "Schlußfolgerungen" etwa ihrer Ich-Erzählerinnen über die Menschen um sie glaubwürdig, ja zwingend zu schildern. Innerhalb von drei Sätzen gelangt man vom Verhalten dreier Menschen im Fußballgespräch über ihre Stellungen zur jüngeren Geschichte Deutschlands hin zur genaueren Auslotung des Ehe- und Liebeslebens von zweien der drei Anwesenden, von da zurück zum Fußball. Momentaufnahmen miteinander verketten in einer Rede, die zumindest beim Hören offenläßt, ob sie innerer Monolog ist oder auktorialer Bericht, und im Zuge dessen die von ihren Figuren bewohnte Welt plastisch zu machen, das ist Kathrin Rögglas Stärke. Auch die Schwäche dieser Verfahrensweise, wie sie schon Arno Schmidt zum Vorwurf gemacht wurde - die Effekthascherei nämlich, wenn die inheränte Dynamik einer Szene schon ausgelutscht ist, es aber "noch weitergehen muß" - haftet ihren Texten an, aber das stellt bei ihr nicht wirklich ein Problem dar. Stets ist sie mit einer Alltagsbeobachtung zur Hand, die sich in das vorherrschende Berliner-Großbaustellen-Lebensgefühl passgenau einfügt und die Atmosphäre verdichtet, anstatt deren Sog aufzuweichen.

Was viel eher ein Problem darstellt, ist die Unfähigkeit der Autorin, Charaktere anders als bloß "atmosphärisch" zu schildern, wenn diese ihrer eigenen Denk- und Sichtweise, wie sie sich in allen Texten naturgemäß widerspiegelt, allzu fremd sind. Wo sie das Unterfangen einer solchen Schilderung angeht, wird die unklare Trennung von auktorialer und Ich-Rede problematisch: Was ist Meinung der Protagonistin, und was ist "objektiver" Bestandteil der Welt die sie bewohnt? In Erzählprosa, die wie die ihre mit wenig klassischem Psychologisieren auskommen will, ist der Leser (um wieviel mehr der Hörer!) gezwungen, das - von ihm zu enträtselnde - Verhältnis von Ich und Welt heranzuziehen, wenn er tieferen Aufschluss über die Motivationen der Protagonisten zu gewinnen wünscht. Genau diesen Mechanismus verweigert Röggla, oder sie ist seiner nicht so recht gewahr. Das ist vor allem schade, weil ihr Berlin voll ist von Statisten, die so nur die Plastizität des subjektiven Berichtes gewinnen können, nicht die weit größere, die sich aus der Rede eines allwissenden Erzählers ergibt, wie sie sie ja eigentlich auch anwendet (egal, wie sehr sie sie auch der ersteren im Tonfall angeglichen hat). Es besteht aber auch die Möglichkeit, daß ich da der Autorin einen äußerst subtilen Kunstgriff als Fehler unterstelle, einen Kunstgriff, der einem die Wirkung des Berlinbewohnens auf das menschliche Bewußtsein auch unterschwellig vermittelt. Die Form spiegelt eben doch den Inhalt wider. So oder so.

Kathrin Röggla ist eine Autorin, die (wie der Rezensent des "Berliner Tagesspiegels" es getan hat) als "clever, frech und witzig" zu bezeichnen richtig, aber annähernd respektlos ihrem Talent gegenüber ist, das der Ernsthaftigkeit der Schilderung (vulgo Präzision) ebensoviel Platz läßt wie der fröhlichen Pointenkonstruktion. Sie hat ein definitiv lesenswertes Buch geschreiben und Texte daraus auf eine etwas weniger hörenswerte CD gesprochen. Ihre Art, zu erzählen, erschließt einem den von ihr gewählten Kontext, macht einen wissender, als man es vor dem Konsum ihrer Texte war - was ja seit jeher ein Kriterium guter Prosa ausgemacht hat. Abgesehen davon, daß ich nun mehr "weiß" über Berlin im Allgemeinen, Neukölln im Besonderen und die Funktionsweise jener freundlich alltäglichen Metaphysik, wie sie so vielen von Rögglas Figuren zueigen ist und wie sie ihre Assoziationsketten nicht unerheblich von der Handlungsseite her stützt, weiß ich (vorsicht, persönlicher Geschmack!) allerdings noch etwas, was ich zuvor noch nicht wußte:
Den nächsten Lyrikband der Kathrin Röggla werde ich auf keinen Fall, ihren nächsten Prosaband hingegen ganz sicher kaufen. Metapherngebilde wie "Sex im Strohhalm" (aus "bettgeschichte", auf der CD die Nr. 3) mögen sich nicht allzu negativ auf ein wohldurchdachtes, hochassoziatives Prosakonstrukt auswirken, ja sogar die atmosphärische Kraft erhöhen, mit der einem die eigentliche Schilderung daherkommt. Auf sich gestellt, ohne notwendige "Wurzel" in einem wie immer gearteten größeren Kontext auf der "Bedeutungs"-Seite, d.h. in Form von Lyrik, muß derlei aber nicht sein. Es spricht für den Instinkt der Autorin, daß sie die große Menge von Material auf der CD, das ihr genausogut die Möglichkeit zur Destillation in schlechte Gedichte offengehalten hätte, in gute, ja erstaunlich gute Prosa umgewandelt hat.

Originalbeitrag

Stefan Schmitzer
23. April 2002

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