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Stefan Zweig: Verwirrung der Gefühle

Sprecher: Rainer Unglaub
3 CDs
216 Min.
ISBN:3-89614-244-5
Verlag und Studio für Hörbuchproduktionen 2001

Mißtraue der glatten Biografie! Ganz zu Beginn von Stefan Zweigs bekannter Novelle "Verwirrung der Gefühle" aus dem Jahr 1927, die so etwas wie einen Klassiker der homosexuellen Literatur darstellt, blickt ein angesehener Anglistikprofessor zurück auf sein Leben - der Untertitel lautet "Private Aufzeichnungen des Geheimrates R. v. D.". Anlaß dieser Rückschau ist eine Festschrift zu seinem 60. Geburtstag. Und wie wissenschaftliche Festschriften nun mal sind, werden akribisch genau alle Aufsätze und Werke aufgelistet und das Leben erscheint wie ein Guß: Als Anglist geboren. Als ob das Leben so eben und so langweilig wäre! Der alte Mann muß lächeln: "Alles ist wahr darin - nur das Wesenhafte fehlt. Es beschreibt mich nur, aber es sagt mich nicht aus. Es spricht bloß von mir, aber es verrät mich nicht." Die Gedanken schweifen zurück zu einem Mann, der dem einst jungen Studenten, der gar nichts mit dem Studium auf dem Hut hatte, sondern lieber mit Mädchen herumgezogen ist, erst die Augen öffnete für die Geheimnisse der Wissenschaft, die durchaus ein Abenteuer werden kann: ein Abenteuer, vergangene Zeitepochen wieder lebendig werden zu lassen, so zu erzählen, daß Autoren und Figuren wie Menschen aus Fleisch und Blut erscheinen, oder als ob man selbst gerade in einer fernenen Zeit leben würde. In der langen Rückblende erfahren wir, was die Festschrift ausspart.

Nach einem ausschweifenden Leben in Berlin ("beide, die Stadt und ich junger ausfahrender Bursche, vibrierten wir wie ein Dynamo von Unruhe und Ungeduld") wird Roland vom strengen Vater in einem ruhigen Moment zur Einkehr gebracht; er setzt sein Studium fort - in einer kleinen Provinzstadt, wo die Begegnung seines Lebens stattfindet. In einer Vorlesung über die Zeit Shakespeares trägt ein Professor so enthusiastisch, so anschaulich und mitreißend vor, daß der junge Mann plötzlich nicht aufhören kann, nächtelang Bücher zu verschlingen. Literatur ist auf einmal viel mehr als tote Buchstaben. Zugleich entwickelt sich ein enger Kontakt zu dem Lehrer und dessen Frau. Roland wohnt im selben Haus und kommt regelmäßig zu Gesprächen. Er beobachtet zunehmend verwirrt die heftigen Stimmungsumschwünge seines Professors, die von erhitzter Begeisterung in dumpfe Mattigkeit umschlagen. Nähe kippt schlagartig in Zynismus, Wärme in kalte Zurückweisung um. Über lange Strecken beschreibt der Text diese seltsame Ambivalenz aus der verwirrten Perspektive des Studenten, der hinter all dem und der seltsam kühlen Abgeschlossenheit der beiden Ehepartner voreinander ein Geheimnis vermutet. Aus historischer Distanz kann man sagen, daß der Student eine Naivität an den Tag legt, die im 21. Jahrhundert nur mehr bedingt akzeptabel wäre. Homosexualität ist zum Glück kein "dunkles Geheimnis" mehr. Zweig beschreibt die Qualen eines Homosexuellen, der noch unter der Angst vor Entdeckung leidet, er fürchtet erpresst oder von seiner Umwelt erniedrigt und mißachtet zu werden. Die Geschichte ist eine Anklage gegen eine Welt, die ihn zwingt, sich in zwei Sphären zu spalten: die untere, dunkle seiner Begierden, die er nur nachts, heimlich in Parks, unter größter Gefahr befriedigen kann, und die höhere, rein geistige unter der Deckung einer Scheinehe.

"Verwirrung der Gefühle" ist Nervenkunst. Zum höchsten gespannt sind die Nerven aller Protagonisten, des ahnungslos verstrickten Studenten, der eifersüchtigen und zugleich besorgten Ehefrau, des heimlich in den Studenten verliebten Professors. Der Text liest sich wie ein genaues Psychogramm einer komplexen Dreiecksbeziehung. Die fast wie eine Krimihandlung anmutende Suche nach dem "Geheimnis" scheint uns heute hingegen fast ein wenig naiv.

Reiner Unglaub als Erzähler trifft den richtigen Ton, er kann seine Stimme aufbrausend und enthusiastisch werden lassen, ebenso kann er leise und unsicher klingen. Was "Verwirrung der Gefühle" für junge Leser interessant macht, ist, daß die Novelle sozusagen eine Waffe gegen langweilige Lehrer, die routiniert dozieren, ist. Das Buch sagt nämlich: Man muß selbst begeistert sein, um andere begeistern zu können. Enthusiasmus ist alles! Und, nur wer Verwirrung erfahren hat und die völlige Zerstörung seiner sicheren Lebensordnung, versteht eine Aufbruchszeit, wie jene, in der Shakespeare von sich reden machte. So spielt der Text die Unsicherheit der Pubertät gegen eine verfestigte gutbürgerliche Sicherheitsexistenz aus. Und ist dabei erstaunlich jung geblieben.

Originalbeitrag

Karin Cerny
9. Juli 2002

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