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Ingram Hartinger: "Ich bin ein Bewohner der Anden"

Oktober 2003

Martin Kubaczek hat den in Klagenfurt lebenden Autor Ingram Hartinger zum Gespräch getroffen und dann per e-mail mit ihm über seine Philosphie zum Schreiben und zur Welt weiterdiskutiert. Hartinger wurde 1949 in Saalfelden geboren, er studierte Romanistik und Psychologie in Salzburg und war viel unterwegs, mehrere Jahre hat er in Italien, Frankreich und Südamerika gelebt. Neben seiner Schreibtätigkeit arbeitet er als klinischer Psychologe und Psychotherapeut.

Kubaczek: Bei Spinoza heißt es: Die Gedanken sind die Bewegungen der Seele. Kann man insofern sagen, Ihre Texte sind Bewegungsstudien?

Hartinger: Ja, aber meine Seele lässt mich, da ich sie manchmal wie ein eigenes, von mir abgesondertes Wesen betrachten möchte, oft links liegen, und so muss ich dann schauen, dass ich den Anschluss zu ihr nicht verpasse, muss, niedergeschlagen vom Leid, wieder aufstehen vom Rand des Geschehens und ihr nachhecheln - in ihrer unverblümt radikalen Aktualität, ihrer geheimnisvollen Art, in ihrem Eigenleben. Sie ist ein verdammt flinkes Luder, diese meine Seele, mein Schreibtier, welches gleichsam in mir schreibt, mich fortschreibt, auch wenn ich äußerlich nicht schreibe. Sie ist die eigentliche Produzentin.

Es gibt in Ihrer Literatur ein unglaublich reichhaltiges Vokabular - Fachsprachen, Termini aus allen Bereichen. Manche Wörter habe ich in keinem Wörterbuch gefunden. Gibt es die Begriffe wirklich alle, oder erfinden Sie manche neu?

Ich liebe Wörter aus ganzem Herzen, alle, auch so einfache wie "ist" und "und" und "auch". Manchmal, wenn sie es mir erlauben, die Wörter und ihre sie vertretenden Instanzen, darf ich dann sogar ein Wort erfinden. Ob es ganz neu ist, weiß ich nicht. Hauptsache - finden. Die Wörter selbst aber sind wählerisch und heikel, stets wachen sie darüber, wie ich sie verwende, wie viele von ihnen und in welchem Tempo ich auf sie zugehe. Die in diesem Verfahren gleichzeitig nicht verwendeten Wörter melden sich sofort zu Wort und drängen mich zu weiterem Schreiben. Wörter sind wohl die seltsamsten Lebewesen auf Gottes Erdboden. Wortklauber, Wortverdreher, Wortdrechsler indessen sind mir suspekt.

Ich habe Ihr Schreiben einmal als eine Mischung aus Bachmannscher Metaphorik und Oswald Wienerscher Sprachanarchie bezeichnet: Da Chiffre und Metapher und verblüffende, wie aus dem Nichts evozierte Sprachbilder, dort die non-lineare erzählerische Anarchie, der Ausdruck als Zurückweisung, ein Berserkertum der Liebe, ein Maniak der Sprache.

Bachmann, Wiener - das sind gewiss veritable Autoren. Ich hingegen sehe mich, nicht unbedingt als Autor. Abgesehen davon sind derlei Affinitäten beliebig oder bloß behauptet, aber man kann durchaus zwischen Texten vergleichen. Ich habe einerseits wahrscheinlich zu viel Respekt vor einem Wiener oder einer Bachmann, um meinen Bezug zu beiden herzustellen. Und andererseits habe ich null Respekt vor ihnen und sage daher ohne Umschweife: die beiden haben mich nie interessiert.

Inwiefern ist Ihr Schreiben "écriture", also automatisches Schreiben, Gedanken- oder Bewusstseinsstrom?

Mein Schreiben ist ein Tanz mit bloßen Füßen über Glassplitter, die überall in meinem Kopf herumliegen. Ergo nichts, was sich verselbständigen oder was ich automatisieren könnte, denn dieser Tanz ist ein erzwungener, abgerungener. Es gibt immer auch viel Verkrampfung und Skrupel bei meinem Schreiben. Und immer auch ein Anfang und anfängliches Verfängliches. Ein Versuch eben - ohne vorab existierende Versuchsanordnung.

Dient diese Versuchsanordnung dazu, möglichst viel an Wirklichkeit abzudecken? Oder ist es auch ein Rückzug in eine Sprache, die einen Sicherheitsabstand schafft, indem sie den Verstehensvorgang verzögert?

Sprache als eine eigene Wirklichkeit steht ebenso wie andere Wirklichkeiten in einer Reihe von Erfahrungen. Sie lässt - jenseits ihrer Werkzeugfunktion - meinen Geist Anteil haben an der Welt. Bisher habe ich vielleicht nur sehr wenig von der "Welt" verstanden. Sprache hilft mir, diese Dummheit etwas weniger kränkend zu empfinden. Ich setze meiner Dummheit quasi Sprache entgegen. Das gibt mir ab und zu das Bewusstsein, Widerstand - gegen was eigentlich? - geleistet zu haben. Kein großartiger zwar, aber immerhin.

Im "Hoffnungshund" definieren Sie ihren Schreibimpuls folgendermaßen: "Die Überwindung des Horror Vacui und somit der Nichtsvergessenheit führt in den Bereich der pulsierenden, befreienden Unbestimmtheit oder Ungenauigkeit." Das ist doch sehr positiv.

Auch diese zitierten Sätze fließen, zerfließen. Ich weiß nicht, wohin mich meine Unbestimmtheiten und Ungenauigkeiten noch hinführen.

Also eher Nichts-Versessenheit denn Nichts-Vergessenheit?

Ja, das Nichts ist es, das für mich zählt. Nichts vergessen zu wollen kann man ja probieren, aber es führt wiederum zu nichts. Abgesehen davon steht es im simplen Widerspruch zur Realität des Neurologischen. Und nichts ist wiederum ungenauer als das Wort nichts. Damit ist wiederum nichts gesagt. Ist es das, was ich will?

Gibt es für Sie das "gelungene Wort"? Eine Art von Zufriedenheit durch das Gesagte?

Nein. Je mehr bloß gesagt wird - oder anders: wo nur das Sagen zählt -, umso unzufriedener bin ich. Für mich ist es längst Zeit, ins Zen-Kloster überzuwechseln. Aber auch dort wäre ich vermutlich unzufrieden. Wo gibt es eine sprachfreie Zone?

Manchmal komme ich mir in Ihren längeren Texten vor wie auf literarischen Geröllhalden - loses Gestein, losgelöste Sprache, die einen überrollt. Streben Sie das bewusst an?

Auf Steinhalden war ich immer gern, schon als Bub, inmitten des Steinernen Meeres, dort selbst nichts anderes als größere und kleinere Steine, und der heikle Moment der Rutschgefahr, das prickelnde Schlittern auf dem Geröll, und auf einmal vor dir der tote Gamsbock.

Es gibt also kein lineares Erzählen, keine polyphonen Romanstrukturen, sondern eine große Gleichzeitigkeit der Stimmen im Kopf?

Keine Stimmen - Glasscherben! Oder Stimmen, die alle schreien: Hör auf damit, mach Schluss! Eine kleine Stimme danach, die wispert: Mach weiter, gib dir einen Ruck, schreib besser, schreib anders.

In "Sagen" heisst es: "Die Vielfalt der Arten des Schreibens stirbt aus". In "Tang und Distel" hingegen ist durchexerziert, welche Vielfalt an literarischen Verfahren zur Verfügung steht - von atmosphärischer Beschreibung über Märchen und Miniatur bis zu fabulierenden Phantasiefetzen.

Mein Bruder, der ein Wortlandstreicher ist, hat mich, den Autor-als-Bastard, an seiner Seite. Ich liebe diese dreckigen Durchmischungen, das Pastiche, diese peinlichen Travestien, samt der heterogenen Gewässer des nicht-gesagten Sagens und des nicht-geschehenen Tuns. Ich weiß, dass, wenn Sprachen verloren gehen, gleichzeitig andere entstehen.

"Sagen" hat eine sehr dialogische Struktur, und immer wieder wird in Ihren Texten ein "Du" angesprochen.

Meinen Wortteppich breite ich vor dem imaginären Du aus, auf dass es seinen Schritt darauf setzen möge, auf dem Gewebe sich fortbewege, wohin es mag. Dieses apostrophierte Du muss ja nicht unbedingt zu mir kommen, doch tut es das, so freut es mich. Dialogische Prinzipien gefallen mir. Helfen mir, meinen inneren Monolog zu durchkreuzen.

Da spricht eine starke Sehnsucht für mich heraus.

Der pubertäre Hartinger, der ich bin, bleibt seinen Sehnsüchten stets verpflichtet. Da fühle ich mich verwandt mit jenen jungen, problembehafteten Menschen, denen ich täglich in der Klinik begegne.

Ich finde es spannend, dass es mit Paulus Hochgatterer einen weiteren Schriftsteller gibt, der auch als Kinderpsychiater im Krankenhaus arbeitet, die dortigen Erfahrungen aber ganz anders verwertet - nämlich für einen extremen Realismus in der Literatur. Ist Ihre Berufserfahrung in Ihrem Schreiben vorhanden, oder sind das zwei getrennte Welten?

Ich lebe ein Doppelleben, und das macht mich kaputt. Schreiber und Psychologe werden zwar strengstens in mir getrennt, aber leider gibt es dabei Wechselwirkungen der unkontrollierbaren Art. Um mit Kafka zu sprechen: Bin ich im Büro schlecht, bin ich beim Schreiben gut - bin ich beim Schreiben schlecht, bin ich im Büro gut.

In Ihren Texten tauchen eine Vielzahl von Verweisen auf andere Kontinente auf. Steckt auch so etwas wie eine Ausbrechen aus der österreichischen Provinz darin?

Ich bin kein Österreicher, ich bin ein Bewohner der Anden. So wie mir österreichische Schriftsteller stets fremd geblieben sind.

Ist alles was Sie publiziers ein großes "Ich-Buch", wie das Robert Walser von seiner literarischen Arbeit gesagt hat?

Ich weiß nicht, ich vermute, dass es so ist. Auf der anderen Seite glaube ich, dass es Nicht-Ich-Bücher sind, die ich bisher geschrieben habe, einem Anderen hinterher, einem Ich, das nicht identisch ist mit sich selbst. Aber allgemein, Walser zu mögen, fällt mir nicht schwer. Ich war kürzlich in Herisau, habe die Irrenanstalt gesucht, habe sie nicht gefunden, egal, ich habe vielleicht zu wenig genau gesucht. Bin ein paar Meter des Weges, den Walser wahrscheinlich auch ging, gegangen und habe mir gedacht, wer weiß, ob ich nicht auch so ende.

In "Sagen" heißt es: "Die geringfügige Hauptsache, dieser Weg, den ich gehen möchte, ins Nichts, zu nichts, in diese vielfältige Schicht des Erdenkens hinein - hauptsächlich jener Weg ist es, der für mich zählt." Andererseits lese ich im "Hoffnungshund" vom Antrieb der Verzweiflung: "... wie sehr ich am Schreiben bisher gescheitert bin". Was sind Ihre literarischen Ziele?

Ich würde gern ein Buch schreiben, in dem ich beim Schreiben auf besagte Glasscherben ganz vergessen könnte und das Gefühl bei der Leserin entstehen würde, sie ginge mit mir hin - zum Ort der Liebe, der Umarmung.

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