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Martin Kubaczek

Jänner 2003

Nach einem zehnjährigen Aufenthalt in Japan lebt der Autor und Musiker Martin Kubaczek wieder in Wien. Sein viertes Buch hat er Amerika gewidmet. Darin stellt er die Beziehung zwischen dem österreichisch-amerikanischen Musikerpaar Theo und Lynn in einen größeren Zusammenhang. Eine Rezension des Buches finden Sie im Buch-Magazin. Beatrice Simonsen sprach mit dem Autor über die Verknüpfung von Musik und Schreiben, Amerika und Angst, Sehnsucht und Hoffnung.

Beatrice Simonsen: Ihr neus Buch heißt "Amerika". Wofür steht "Amerika"?

Martin Kubaczek: Amerika ist die Hoffnung auf ein neues Land und damit auch die Hoffnung auf ein neues Leben. Amerika ist ein Mythos. Aber so wie in jedem anderen Amerika-Buch kommt es zur Enttäuschung. Es gibt genug Beispiele dafür, dass bestimmte Versprechen, die der Begriff Amerika vorgibt, nicht eingelöst werden. Notwendigerweise muss die Beziehung zwischen Theo und Lynn zu einer Form von Ent-Täuschung werden. Es ist ein ganz schlichter Desillusionierungsprozess. Die Figur des Theo ist absichtlich naiv gestaltet, damit er Bilder erleben kann und nicht analysieren muss. Er fährt nach Amerika und sieht einfach Dinge. Dinge, die auch ich gesehen habe, das ist in diesem Sinn autobiografisch.

Die Hauptfigur Theo ist, so wie Sie, Musiker - ist das ebenfalls autobiografisch gemeint?

Das Buch ist nicht autobiografisch. Es sind Menschen entworfen, mit denen ich zu tun habe, natürlich. Es kommt also der eine oder andere Freund als Materiallieferant oder als Modell vor, d.h. als Gesten- oder Duktus- oder Sprechweiselieferant. Andere hingegen kommen überhaupt nicht vor. Es gibt Leute, die beleidigt sind, weil sie noch nie in einem meiner Bücher vorgekommen sind, andere sind wieder froh. (lacht)

Die Dialoge sind sehr konkret geführt. In dem Zusammenhang geht es auch um die Wichtigkeit des "Zuhörens". In der Musikimprovisation gelingt es Theo, auf seine Partner einzugehen. Warum kann er es nicht bei seiner Frau Lynn?

Die Ebene, auf der Theo kommunizieren kann, ist die Musik. Wo er zuhören kann, das ist die Musik und das ist das Laufen. Er kann dem Körper zuhören. Lynn dagegen will die sprachliche Ebene. Das ist etwas sehr Rationales. Ich habe das in Amerika stark erlebt, dass man versucht, alles über eine verbale Ebene zu klären. Das ist eine sehr pragmatische Position, und da kommt Theo mit seinem Modell, das ein ethisches ist und aus der Musik kommt, nicht durch. Das Zuhören ist bei der Musikimprovisation überhaupt eine Voraussetzung des konstruktiven Zusammenseins.

Die Konstruktion des Romans erinnert an ein Musikstück. Es ist so, als würden verschiedene Instrumente oder Stimmen immer wieder dasselbe Thema aufgreifen.

Es gibt Reprisen und es gibt Motive. In erster Linie ist es eine Motivstruktur. Die Motive werden gegengeschnitten oder versetzt: das Laufmotiv, das Musiziermotiv, das Beziehungsmotiv, die Autofahrsituation - diese Bilder werden einfach immer wieder durchgespielt. Und Amerika ist das Sehnsuchtsmotiv. Insofern ist das Buch überhaupt nicht antiamerikanisch, sondern im Gegenteil eine Projektion.

Erwartet man seit dem 11. September nicht eher eine Stellungnahme als ein Sehnsuchtsmotiv, wenn ein Buch "Amerika" heißt?

Die Stellungnahme ist ganz klar. Ich sage: ich liebe Personen. Die große außenpolitische Haltung ist ein ganz anderes Kapitel. Das Ereignis des 11. September spielt natürlich hinein. Aber was mich viel mehr interessiert, ist das Problem, das Saul (Anm.: ein amerikanischer Freund Theos) in dem Buch anspricht. Es geht um diesen winzigen, fast verschwindenden oder vor allem in den Medien inexistenen Teils der amerikanischen Bevölkerung, der sich politisch nicht einverstanden erklärt. Ich bin voll Bewunderung, wie tapfer diese Leute sind, die die ganze amerikanische Gesellschaft gegen sich haben und trotzdem ihr Konzept leben. Auf diese Leute beziehe ich mich. Die Gespräche mit diesen Leuten sind die wesentlichen Dinge.

Aber kann man den Machtkampf, der zwischen Lynn und Theo stattfindet, nicht auch auf Amerika und Europa übertragen?

Die Hauptfiguren Theo und Lynn sind allegorisch aufgebaut. Ich habe schon auch versucht, ein Kommunikationsproblem zwischen Europa und Amerika darzustellen. Dabei habe ich aber vertauscht, was man normalerweise mit Europa und Amerika assoziiert. Ich habe die Attribute vertauscht, um zu zeigen, Amerika ist nicht so flexibel, wie es sich einbildet, und Europa ist nicht so verkorkst und steif und unflexibel, wie es dargestellt wird. Es gibt in Amerika ein gewisses gehobenes Bürgertum, das sehr puritanisch und sehr kontrolliert ist, wenn es um Selbstkontrolle geht. Bei jeder ersten Begegnung wird abgecheckt: Hast du dein Leben unter Kontrolle? Bist du gefährlich für mich? Da ist immer der Moment der Angst.

Das kommt auch in dem Film "Bowling for Colombine" von Michael Moore zum Ausdruck, in dem es um die Frage geht, warum es soviel Angst in Amerika gibt.

An der Figur der Lynn habe ich versucht, jemanden darzustellen, der ein Vertrauensproblem hat. Das ist für mich ein sehr amerikanisches Phänomen, dass man eigentlich auf nichts vertraut, außer vielleicht auf Gott und selbst dieser Glaube ist sehr vage, denn fast alle Amerikaner glauben auch an den Teufel. Es gibt immer das Gefährliche, das omnipräsent ist und mystifiziert wird. Auf dieser Basis von Angst und Nichtvertrauen baut sehr viel auf, auch in der Kommunikation. Es gibt eine permanente Kontrolle, der man kaum entkommen kann.

Der destruktive Akt des 11. September war für viele Amerikaner unter anderem der schreckliche Beweis, dass ihnen die Kontrolle entglitten ist. Warum endet das Buch dennoch mit einer kleinen Hoffnung?

In der Zerstörung der Twin Towers durch die Flugzeuge ist für mich die persönliche Destruktion sichtbar geworden. Ich war mitten im Schreibprozess, als dieser 11. September passierte und plötzlich war mir klar: das ist der Schluss meines Buches. Plötzlich war ein Punkt erreicht, wo das Politische und das Private in einer ganz extremen Form zusammengeknallt sind. So konnte ich eine Kehrtwendung einbringen und den Ansatz eines Neustarts versuchen, und zwar aus dem Motiv heraus, dass es durch das Vorausdenken des Verlustes möglich wird, noch einmal zu beginnen.
Die Hoffnung des Textes wäre, dass diese Aktion die destruktiven Kräfte soweit aufgesogen hat, dass das Paar gerade durch den entsetzlichen Terrorakt zu einer Katharsis finden könnte. In New York herrscht seit dem 11. September eine andere Atmosphäre als zuvor. Die Leute reden anders miteinander, gehen offener aufeinander zu. Das hat sich anders entwickelt als es im Sinn der Terroristen war. Die Terroraktion verkehrt sich wider willen in einen Moment der Besinnung auf das Humane.

(Gekürztes Interview vom 30.12.2002)

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