Leseprobe
Beck hatte als Kind einige Male die Sommerfrische in Brixen verbracht. Brixen war eine entzückende kleine Bischofsstadt mit einem rosigen Dom, auf dem sämtliche architektonischen Elemente aufgemalt waren, ein perfektes Trompe-l'oeuil. In Brixen waren die Marillen schon orange gewesen, wenn sie eine halbe Tagesreise weiter nördlich noch grün gewesen waren. Beck konnte sich jede Art von Demütigung vorstellen, aber nicht, dass Brixen nicht mehr bei Österreich war. Eine solche Demütigung, die die ganze Marillenernte südlich des Brenners den Italienern zusprach, war für Beck so unvorstellbar, dass er sie sich unentwegt vorstellen musste. Direkt am Brenner hatte es eine Heilquelle gegeben, seine Mutter hatte auf dieses Wasser geschworen, sie hatte es getrunken und die Unterarme darin gebadet und sogar ihre Araukarie damit gegossen. Wie wunderbar ist dieses Land, hatte seine Mutter immer gesagt: vom dunklen Böhmerwald kommt man direkt ans Meer. Das ist Österreich: Gletscher, Steppen und Seebäder mit Palmen. Jedes einfache Tornisterkind beherrscht drei bis vier Sprachen. Beck erinnerte sich an die Geschichte von den Säumern, die protestiert hatten, als eine richtige Straße über den Brenner gebaut worden war. Die hohe Kunst des Lasttragens über Gebirgspfade dahin, erst im Krieg wieder im Kurs. Von Madonnenerscheinungen war ihm auch erzählt worden, überall in den Bergmulden blitzten Madonnenerscheinungen auf. Und Triest nicht mehr bei Österreich? Man konnte genausogut Mexiko für österreichisch erklären.
© 2006, Literaturverlag Droschl, Graz -Wien.