Gespräch mit Silvia Sand
am 9. Mai 2008
Leichtfüßig aber keineswegs leichtfertig ist die Literatur der Tirolerin Irene Prugger, die mit Romanen wie "Frauen im Schlafrock" und Schuhe für Ruth nicht nur Leserinnen, sondern auch männliches Pulbikum erreicht. Im Gespräch mit Silvia Sand spricht die bekennende Geschichten-Erzählerin über ihr neues Buch, ihre Beziehung zu ihren Romanfiguren und über den Platz der Literatur in ihrem Leben.
Ich habe gerade Ihr früheres Buch "Frauen im Schlafrock" gelesen und es hat mich wie bei "Schuhe für Ruth" fasziniert, wie schnell man in Ihre Geschichten einsteigt und sich gerne auf das einlässt, was Sie erzählen. Schreibt es sich so leicht wie es sich liest?
Natürlich nicht, das ist harte Arbeit, dass das so leicht herüberkommt und ich lege auch immer wert auf die Feststellung, dass es nicht leichtfertig geschrieben ist. Ich arbeite sehr genau, das wird manchmal unterschätzt, was da für eine Arbeit dahintersteckt.
Sie haben für diesen Roman 2005 von namhaften KritikerInnen fast ausschließlich Lob bekommen ...
Ja, aber so richtig begonnen hat das Lob schon für "Nackte Helden" (2003). Erzählungen und Kurzgeschichten schreibe ich lieber, das ist eine Leidenschaft von mir. Es hat ja jeder Autor und jede Autorin viele Möglichkeiten, viele Schreibweisen parat – oder bei mir ist das zumindest so – und beim Roman muss ich mich für eine entscheiden. Bei den Kurzgeschichten kann ich mehr experimentieren, das gefällt mir. Mein Vorsatz ist, mit jedem Buch besser zu werden. Schreiben ist ja auch ein Handwerk – ein Kopfwerk und ein Handwerk. Das heißt Übung und das heißt, dass man eine Geschichte über lange Strecken dramatisieren und dass man sie spannend erzählen kann. Das ist eine Herausforderung, der ich mich unbedingt stellen wollte und noch weiter stellen werde. Vom Spaßfaktor her – und ich denke, dass mir die Arbeit Spaß machen soll – liegt mir die dramatische Arbeit, zum Beispiel auch an Hörspielen, sehr.
Ich finde, Sie haben Ihren Vorsatz erfüllt. In "Frauen im Schlafrock" sind die inneren Monologe manchmal etwas zu lang, in "Schuhe für Ruth" sind die Schnitte schneller. Von welcher Seite kommen da Vorgaben oder Kritik?
Das bin ich schon selber, ich nehme mir ein Thema vor und weiß auch, wie ich es bearbeiten werde. Leider muss ich dazu sagen, dass kürzere Erzählungen am Markt nicht so gefragt sind. Das heißt es zumindest immer, ob das wirklich so ist, wage ich zu bezweifeln. Ich selber bin zum Beispiel eine sehr eifrige Kurzgeschichtenleserin. Ich kenne auch viele Menschen, die das ebenso gerne tun, aber die Verlage seufzen immer, wenn man mit einem Erzählband kommt und sagen, das verkauft sich nicht so gut. In der heutigen Zeit, denke ich, sollten doch viele aus Zeitknappheit auf Kurzgeschichten zurückgreifen, aber es scheint nicht so zu sein. Ich weiß nicht, ich müsste da Marktforschung betreiben, ob das wirklich so ist (lacht). Der Erzählband "Nackte Helden" hat sich zumindest sehr gut verkauft.
Und wie ist das Echo auf das neue Buch?
Ich bekomme für dieses Buch viele private Reaktionen von Leserinnen – es gibt natürlich auch Leser – aber vor allem von Leserinnen, die über das Formular auf meiner Homepage mit mir Kontakt aufnehmen und zum Buch etwas sagen. Das ist das erste Mal, dass von der Leserschaft so ein direkter Kontakt kommt.
Warum, meinen Sie, fühlen sich die Leserinnen so angesprochen?
Die Ruth ist ja sehr ambivalent und viele kennen diese Lebenssituation und diese Ängste. Da ist es mir schon passiert, dass ich gefragt wurde: Hast du da was über mein Leben geschrieben? Aber das ist ganz natürlich, weil viele Menschen in dieser Situation sind. Ich lebe ein ganz anderes Leben als die Ruth und trotzdem ist sie mir sehr nahe und ich glaube, dass die Ruth vielen sehr nahe ist. Sie muss ja nicht immer sympathisch sein oder solche Figuren müssen nicht immer sympathisch sein. Ich ärgere mich auch manchmal über meine Figuren, weil sie einen Blödsinn machen, aber nahe müssen sie mir sein und auch dem Leser.
Sie greifen ja Themen auf, die irgendwie in der Luft liegen ...
Ich wollte die Situation einer Frau beschreiben, die Existenzängste hat, die davon bedroht ist, auf der sozialen Ebene abzurutschen. Es gibt da immer so eine latente Bedrohung und die Ruth hat ja nicht viel Selbstbewusstsein. Es haben mich immer schon Figuren interessiert, die nicht besonders spektakulär sind, die eher überhaupt nicht auffallen würden in der Gesellschaft. Das ist für mich das Interessante am Arbeiten, weil ich an denen dann schon was finde, das sich lohnt, sie über eine gewisse Strecke zu begleiten. Die Ruth ist eine Frau, die mehr ist als sie vorgibt zu sein, aber sich nicht traut. Sie traut sich nicht an die Öffentlichkeit, sie traut sich nicht einmal beim Elternsprechtag, richtig den Mund aufzumachen und dabei hätte sie doch viel zu sagen. Es ist mir wichtig, solchen Frauen oder Menschen eine Stimme zu geben.
Würde Sie das stören, wenn man sagt, das ist Literatur für Frauen?
Im Prinzip habe ich kein Problem damit. Ich bin froh, wenn Frauen das lesen, aber ich glaube nicht, dass es wirklich Literatur für Frauen ist. Ich selber mache die Erfahrung, dass es auch Männer lesen und ich bekomme auch von Männern Reaktionen. Wenn ich über Frauen schreibe, heißt das nicht, dass ich speziell für Frauen schreibe. Es gibt ja nicht viele Möglichkeiten, ich kann über Männer schreiben, über Frauen, über Kinder und dann vielleicht über Goldfische ... (lacht) Wenn über Männer geschrieben wird, heißt es ja auch nicht, das ist ein Männerbuch.
Man weiß gegen Ende lange nicht wie die Geschichte ausgehen wird. Warum haben Sie dann doch ein Happy End gewählt?
Für die Ruth selber ist es nur ein momentaner Zustand, in dem es ihr gerade gut geht. Das heißt nicht, dass das ein Happy End ist. Es gibt zu dem Zeitpunkt, da das Buch aufhört, noch viele ungeklärte Elemente. Ich weiß selber nicht, wie es weiter gehen wird mit ihr. Ruth besteht im Laufe der Romans viele kleine Mutproben und am Schluss ist die größte Mutprobe, dass sie mit den unbezahlten Schuhen hinausgeht und dass sie sich auf die Liebe einlässt. Das ist die größte Mutprobe überhaupt und ob sie sich dann wirklich darauf einlassen kann, das steht noch in den Sternen. Es schaut aus, als würde sie in eine glückliche Zukunft gehen, aber es kann genauso gut sein, dass sie sich in ein Dilemma hineingeritten hat.
Es scheint in der Literatur manchmal so, als gäbe es keine Kinder. Es hat mir gefallen, dass sie den Zwillingen von Ruth reellen Raum geben ...
Sie sind die einzige Rezensentin, die auf die Rolle der Kinder hingewiesen hat. Das ist mir sehr wichtig, diese Kinder zu beschreiben, denn es hat mich immer gestört, dass Kinder in einem Buch nie so richtig oder nur in Andeutungen oder schemenhaft vorkommen. Sie sind wichtig und beeinflussen das Leben. Es dreht sich ja das Leben dieser Ruth um die Kinder und es wird von den Kindern bestimmt.
Welche Rolle spielt denn diese etwas utopische "Vitaltrainerin" vom Jugendamt?
Das sind Anspielungen auf die Praxis oder auf Entwürfe, die es gibt, sich ins Privatleben einzumischen und die Vormundschaft zu übernehmen. Einerseits ist die Ruth dankbar, dass ihr geholfen wird, andererseits ist sie aber auch sehr kritisch dem gegenüber. Sie weiß ja eigentlich selber, wo's langgeht, aber sie schafft es nicht, weil sie halt auch schwach ist. Ich wollte andeuten, dass diese Einmischung oder diese Bedrohung oft mit einem sehr netten, frischen Gesicht daher kommt.
In ihren Büchern gibt es jeweils ein Bild, mit dem sich die Hauptfiguren sehr stark beschäftigen. Für Anna aus "Frauen im Schlafrock" ist es eine Nudelesserin, für Ruth ein untergehendes Schiff ...
Schriftsteller sind ja auch Bildermaler. Schreiben heißt Bilder vor Augen zu haben und diese zu beschreiben. Es muss aus jedem Satz ein Bild und dann eine bildhafte Geschichte entstehen. Sonst hätte man ja nur Buchstaben vor Augen, wenn man nicht ins Lesen hineinkäme und diese Bilder nicht evoziert werden würden. Ich kann nicht genau sagen, warum ich das verwende, aber Bilder sind für mich beim Schreiben ganz wichtig.
Anna ist Single, die in der Werbebranche arbeitet, Ruth entstammt aus einem ganz anderen sozialen Milieu. War das für Sie spannend, diese unterschiedlichen Situationen darzustellen?
Ich suche mir Situationen und Figuren aus, die mit meiner eigenen Lebenssituation nicht zu viel zu tun haben. Das ist mir sehr wichtig, ich muss da einen Abstand zu meinem eigenen Leben haben, damit ich wirklich unbeschwert arbeiten kann und mich darauf einlassen kann. Wenn das zu ähnlich wäre, dann würde es mir beim Schreiben unangenehm sein. Es ist ganz klar, dass man immer aus den eigenen Erfahrungen schöpft beim Schreiben, aber ich würde mir nie Figuren aus meiner Umgebung zum Vorbild nehmen. Das habe ich nie probiert, das würde mich nicht anregen sondern nur hemmen.
Wann haben Sie zu schreiben begonnen?
Ich habe immer sehr gern gelesen, wie das bei allen Schreibenden ist. Aber das ist so wie mit Essen und Kochen: wer gern isst, kann nicht automatisch gut kochen. Jetzt ist es mindestens 20 Jahre her, dass ich mit kurzen Geschichten begonnen habe. Ich bin auch Journalistin und Werbetexterin, das heißt, ich kann mich nicht ausschließlich auf die Literatur konzentrieren. Neben der Familie und der Erwerbsarbeit konnte ich nicht immer die literarische Karriere betreiben. Ich habe mich aus Existenzgründen so entschieden. Ich bewundere aber Menschen, die sich hundertprozentig der Literatur widmen und dann viele Nachteile, ein unsicheres Leben in Kauf nehmen. Ich selber hätte mein Leben nicht so leben können.
Ich finde, dass Ihre Romane Bestsellerqualität haben, damit wäre die Existenz gesichert. Mir scheint, dass man zwar gerne Bestseller aus der angloamerikanischen Literatur übernimmt, aber die heimischen nicht immer schätzt ...
Also einen Bestseller zu schreiben, das kann man eigentlich nicht planen, das kann nur gelingen. Ich denke, dazu müssten die Themen spektakulärer gewählt sein, da sind meine Bücher vielleicht ein bisschen zu ruhig. Es gibt in Österreich ein gewisses Misstrauen gegenüber unterhaltsamen Geschichten oder gegenüber Literatur, die Unterhaltungswert hat. Das weiß man eh, dass das im englischsprachigen Raum leichter ist, weil dort das Geschichtenerzählen zugelassen wird. Es ist ja eine Kunst, Geschichten zu erzählen. Im eigenen Land wird das nicht so geschätzt, da muss man, glaube ich, schon eher Kunstsprachen kreieren oder so. Es wäre zu viel Druck, wenn ich mich davon existentiell abhängig machen würde. Mein Lebensplan sieht das nicht vor, deswegen bin ich da relativ gelassen. Ich freue mich aber über jede Aufmerksamkeit, das ist klar. Es ist viel Arbeit und es ist sehr intensive Arbeit und wenn die dann geschätzt wird, dann ist das natürlich wichtig. Ich glaube, wenn überhaupt gar nichts zurückkäme, dann würde ich es auch lassen. Nur für mich schreiben, das wäre nicht der Sinn.
Was ist ihr nächstes Ziel, was möchten Sie gerne ausprobieren?
Als nächstes kommt wieder ein Erzählband mit sehr unterschiedlichen Geschichten und Erzählweisen und weiter denke ich noch nicht. Es gibt kein bestimmtes Ziel, aber es regt mich zum Arbeiten an, wenn mir die Menschen sagen, das war eine spannende Geschichte. Das schönste Kompliment, das ich einmal bekommen habe, war von einer Frau, die mir gesagt hat, dass sie nach einer Lesung im Auto nach Hause gefahren ist und dabei so in Gedanken versunken war über meine Geschichte, dass sie in Schlangenlinien gefahren ist und die Polizei sie aufgehalten hat ... ich denke mir, wenn Literatur so bewegt, dann ist schon viel gelungen (lacht). Das wäre das Ziel.