Mai 2005
man muss es mir nun glauben... Ein Gespräch mit Linda Stift von Christine Rigler
Linda Stift hat mit dem Roman "Kingpeng" im Frühjahr 2005 ihr erstes Buch vorgelegt und im deutschen und österreichischen Feuilleton dafür große Anerkennung erfahren. Im Juni reist sie als Vertreterin für Österreich zum Europäischen Festival des Debutromans 2005 im Literaturhaus Kiel.
Linda Stift wuchs in der Südsteiermark auf und lebt seit dem Germanistikstudium in Wien. 1998 begann sie freiberuflich als Lektorin zu arbeiten - in Zeitschriftenverlagen und später auch im Deuticke Verlag. Ebenfalls 1998 fand ihr allererster öffentlicher Auftritt als Schriftstellerin statt - im Lifestyle-Magazin "Wienerin" im Rahmen eines Schreibwettbewerbs. Bald darauf erschien ein Beitrag in einer Anthologie des Milena Verlags (Hg. Sylvia Treudl). Weitere Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften wie "Sterz" und "Kolik" folgten. Linda Stift bezeichnet sich als Einzelgängerin und hat sich deshalb nie einer Szene oder Gruppe enger angeschlossen.
Das vorgegebene Thema des Wettbewerbs der "Wienerin" - Science-Fiction - liegt der Autorin weniger fern, als man nach der Lektüre ihres Romans vermuten möchte: Meine kurzen Prosatexte bzw. Kurzgeschichten beinhalten eigentlich alle ein unheimliches Element, es gab auch regelrechte Verwandlungsgeschichten. Insofern könnte man sagen, dass ich das im Roman weitergeführt habe, in einem größeren Rahmen, und in einen realistischeren Zusammenhang gestellt; es gibt nichts Übernatürliches oder Unerklärbares (Märchenhaftes), alles, was in "Kingpeng" passiert, ist ja rational erklärbar, wenn auch nicht offen daliegend.
Die Vorliebe für einen gebrochenen Realismus zeigt sich auch, wenn man sie nach ihren literarischen Vorbildern fragt: an erster Stelle steht Franz Kafka. Marlen Haushofer mag sie lieber als Ingeborg Bachmann, die ihr zu mystisch ist. Haushofer findet sie einerseits noch abgehobener, andererseits ganz real und klar.
Ihre Arbeit als Lektorin sieht Linda Stift in Bezug auf das eigene Schreiben ambivalent. Die Beschäftigung mit den Texten anderer bringt sie voran, blockiert aber auch: Wenn ich ein intensives Lektorat mache, kann ich nicht schreiben. Das ist zu anstrengend. Das Arbeiten mit den Texten hilft. Denn sonst hat man nur die eigenen Texte und da gelangt man schnell an einen Punkt, wo man nicht mehr weiter weiß. Zu sehen, wie Texte sich verändern und wie andere Autoren arbeiten, ist für mich schon sehr interessant. Und es macht mir überhaupt Spaß, mit Texten zu arbeiten.
Dass sie diesen Job weitermachen möchte, ist für sie, im Augenblick jedenfalls, überhaupt keine Frage: a, auf jeden Fall. Momentan kann ich vom Schreiben sowieso nicht leben. Ich weiß auch nicht, ob das jemals möglich sein wird. Nur von Subventionen zu leben wäre mir eher unangenehm. Ich bin froh, dass ich noch einen anderen Beruf habe. Das ist eine kleine Unabhängigkeit - in der einen und in der anderen Form.
Erste Bücher von jüngeren Frauen, die in der Ich-Form geschrieben sind und noch dazu Inzest-Gedanken anklingen lassen, laufen Gefahr, als Erfahrungsberichte gelesen zu werden. Um allen Spekulationen vorzubeugen: der Roman "Kingpeng", versichert Linda Stift, ist nicht autobiographisch, sie hat nicht einmal einen Bruder. Die Wahl der Ich-Form als Perspektive war vor allem eine erzähltechnische Entscheidung: Für mich war die Ich-Form für das erste Buch einfach sehr hilfreich. Es ist unmittelbarer. Ich habe es auch mit der dritten Person versucht, aber es hat bei diesem Stoff nicht richtig funktioniert.
Dass Literatur von Frauen gerne in einem spezifischen Kontext wahrgenommen wird, ist ihr bei den Rezensionen allerdings aufgefallen: Ich komme oft zusammen mit Eva Menasse und Clarissa Stadler vor. Uns verbindet aber nur, dass wir alle zwischen 30 und 40 sind, Österreicherinnen und unser erstes Buch geschrieben haben. Bei Männern, denke ich, wäre das nicht der Fall. Es gibt ja ständig Neuerscheinungen von jungen Männern, aber nur die Frauen werden zusammengespannt.
Wenn auch das Cover ihres Romans im Stil der Popliteratur gehalten ist - Linda Stift sieht sich von diesem literarischen Trend der 90er Jahre kaum berührt. Es gibt viele Facetten davon und es wird mit diesem Begriff leichtsinnig umgegangen. Ich wollte auf dem Cover keine Fotos von Menschen, weil das Lesen dadurch geprägt wird. So wurde der Roman visuell in eine Tube "verpackt", wie sie von der Ich-Erzählerin Kinga zum Abfüllen ihres selbstgekochten Sugos verwendet wird.
Bezüge zur "Popliteratur" ließen sich dennoch herstellen. Ein verwandter Aspekt ist der vergrößernde und zugleich verzerrende Blick auf alltägliche Abläufe, die Wahrnehmung mit fast neurotisch geschärften Sinnen. Das aber ergibt sich für Linda Stift vor allem aus der Lebenssituation ihrer Figur, die nur zu Hause sitzt und sich auf einen winzigen Lebensradius beschränkt - das gehört einfach zur Figur. Daraus möchte sie zwar kein allgemeines Phänomen abgeleitet wissen, aber es hat für sie doch mit gesellschaftlichen Zuständen und Entwicklungen zu tun. Viele Menschen üben ihren Beruf zu Hause aus: Es gibt den Rückzug oder die Vereinzelung der Existenz. Und ich selbst arbeite auch so. Ich arbeite zwar auch hin und wieder in einem Büro, aber auf Dauer, jahrelang, kann ich mir das nicht vorstellen.
Kinga, die Hauptfigur des Romans, betreibt mit ihrem Bruder ein kleines erfolgreiches Catering-Unternehmen. Er ist für das Akquirieren der Aufträge zuständig und sie bereitet das Essen. Eines der wenigen Dinge, die die Autorin tatsächlich mit ihrer Figur gemeinsam hat, ist die Geruchsempfindlichkeit, - ich habe mir das bis zum Exzess ausgedacht und zu durchleben versucht. Den Lebensekel, der sich durch diese Beschreibungen vermittelt, sieht sie nicht unbedingt als Widerspruch zur genussorientierten Tätigkeit des Kochens. Die Geruchsempfindlichkeit ist vielmehr die Voraussetzung dafür. - Kochen und Essen beschäftigen mich in einem relativ hohen Maße, wobei es allerdings unterschiedliche Phasen gibt, Phasen, in denen ich mich nicht besonders darum kümmere, wann und was ich esse, auch manchmal darauf vergesse, und dann gibt es wieder Phasen, wo ich häufig koche, altbewährte Gerichte zubereite oder was Neues ausprobiere, experimentiere. Viel und ausgefallen zu kochen finde ich entspannend, und ich bin glücklich, wenn es dann von anderen gemocht wird. Ich werde aber auch selbst sehr gerne bekocht.
Erstaunt ist die Autorin über die vielen pessimistischen Interpretationen ihres Romans. Für sie ist das Ende nämlich nicht unbedingt negativ: Ich habe gedacht, dass es daran keinen Zweifel geben kann. Die Ich-Erzählerin, traumatisiert durch den Unfalltod ihres Freundes vor langer Zeit, wird durch eine neue schmerzliche Erfahrung aus ihrer Lethargie gerissen und beschließt einen entscheidenden Schritt: ihren Bruder zu verlassen, um in eine eigene Wohnung zu ziehen - und damit ist nicht etwa die Anstalt Steinhof gemeint, wie es in einer der Rezensionen zu lesen war (Auf diese Idee wäre ich nie gekommen).
Von Seiten der Moral, das bestätigt die Autorin selbst, könnte es durchaus Einwände gegen dieses Happy End geben. Das sonderliche Geschwisterpaar beobachtet vom Balkon aus die wohlhabenden Bewohner in den gegenüberliegenden Wohnungen und gerät in deren Fahrwasser. Der erste Kontakt kommt über das Cateringservice zustande, mit der Zeit werden die Beziehungen sexuell. - Die erste Idee zu dem Buch war das Hinüberschauen - in eine andere Welt. Die Voyeure werden in eine Krimihandlung verwickelt, als der Butler der neuen Freunde ermordet am Balkon aufgefunden wird. Die Vermutung, dass die Ich-Erzählerin Kinga, die unter unerklärlichen Absencen leidet, etwas damit zu tun haben könnte, liegt nahe. Es gibt polizeiliche Untersuchungen, aber keine restlose Aufklärung der Tat. Ich wollte keinen klassischen Krimi schreiben. Es hat aber schon auch etwas zu tun mit meiner Wahrnehmung als Fernseherin: dass nämlich, wenn in diesen amerikanischen Filmen Morde passieren oder jemand stirbt, alles normal weitergeht. Es wird nicht übermäßig getrauert, es geht einfach irgendwie unter.
Der Inzest, der zwischen den Geschwistern in "Kingpeng" als Wunsch besteht, ist als gesellschaftliches Tabu immer wieder ein reizvolles literarisches Motiv. Die Beziehung zwischen Geschwistern, das ist vermutlich das Vertrackte daran, bringt für eine erfüllte Liebe unter Umständen idealere Voraussetzungen mit als jede spätere Begegnung: Geschwister haben den gleichen Hintergrund, die gleichen Eltern, sie sind sich vielleicht ähnlich und kennen sich vielleicht gegenseitig am besten. Und es besteht eine andere Art von Bindung und Zuneigung. Ich habe aber auch Bekannte gefragt, die Geschwister haben, und die waren von der Vorstellung von Sex mit Geschwistern nicht sehr angetan. Entweder ist das eine Vorstellung von Einzelkindern, dass das so sein muss, oder es wird verdrängt. Der Roman wird aus zwei Perspektiven erzählt, einer weiblichen (Kinga) und einer männlichen (Bruder). Die Darstellung des Bruders wirkt, trotz diverser Tics wie hysterischer Abneigung gegen schmutzige Wäsche, erstaunlich vernünftig und versorgt die Leser mit einigen klärenden Informationen. Es geht Stift nicht so sehr darum, einen geschlechtsspezifischen Kontrast zu zeigen, sondern eher um eine Ergänzung und Auflockerung der Erzählung ihrer Hauptfigur: Ich wollte nicht, dass beide den gleichen Rang haben. Als Erholungspause von ihr kann man es auch betrachten.
Eine Erholungspause vom Schreiben wird sich Linda Stift nach ihrem ersten Erfolg nicht gönnen: Schreiben war schon immer wichtig für mich, ich kann mir nicht vorstellen, nicht zu schreiben, wobei das aber nicht mit dem Publizieren zusammenhängen muss. Im Schreiben kann ich mich viel besser und klarer ausdrücken, meine Gedanken ordnen und neue Dinge entwickeln. Ohne Schreiben wäre mein Leben einfach viel schwieriger. es gibt natürlich auch Zeiten, in denen ich nicht viel schreibe, oft entzieht sich das Schreiben, aber es kommt immer wieder zurück (bis jetzt zumindest).
Ihre freie Mitarbeit als Lektorin bei Deuticke sieht sie im Nachhinein keineswegs als Garantie dafür, dass ihr Roman dort auch angenommen werden musste, - wohl aber hatte sie zumindest die Sicherheit, dass er gelesen würde, was in der Branche bei einem täglichen Angebot von bis zu 20 Manuskripten pro Verlag nicht selbstverständlich ist. Dass nun ihr erstes Buch erschienen ist, betrachtet Linda Stift als notwendige Voraussetzung für die öffentliche Anerkennung als "Schriftstellerin", natürlich aber auch als persönliche Bestätigung: man muss es mir nun glauben.