"Wir könnten da leicht zusammenkommen", der
Schaumberger hob ein wenig mehr den Kopf, "schaun
wir, was wir da haben, ein paar Bekannte, etwas Ware."
"Es paßt scho. Zeitungen gibts ja aa, da kann ma alles a
bissel bekannt machen."
"Sogar Theater gespielt wird schon", schaltete sich der
Lehrer ein, "ich mein die 'Lustige Witwe' oder was von
Leo Fall habens gegeben." Er reckte das Kinn und
betrachtete unter halb geschlossenen Lidern die
Menschen auf der Sitzbank hinter ihm. Der Mund zog
sich zu einem Lachen auseinander, das Kinn stieg noch
höher. Er wurde wieder ernst und öffnete die Augen weit.
"Das österreichische Volk, hab ich zu mir gesagt, muß sich
jetzt selbst helfen, es muß neue Hoffnung schöpfen
und mutig sein. Und vor allem",
er wandte das Gesicht zu den vorderen Reihen, die leer waren, nur in der ersten, hinter dem Fahrersitz, unterhielten sich zwei Bauern,
"und vor allem", sagte er mit gesenkter Simme zu seinen
Zuhörern auf den hinteren Sitzen, "auf die jungen Leute
muß man schauen, auf die kommt es doch an in
Zukunft, die müssen lernen, was es heißt, Österreicher
zu sein. Schauen Sie, Österreich ist nicht Deutschland.
Diese Äußerung hört man immer wieder, besonders von
der französischen Besatzungsmacht. Sehen Sie, ich hab
grad aus Tirol herüber die Zeitung bekommen, Bildung
ist ja jetzt wieder erlaubt, und da ist ein Abdruck
aus dem 'Figaro' drin, wo ein renommierter Journalist die
folgende Betrachtung anstellt: 'Wer aus Deutschland
nach Österreich kommt', schreibt er, 'der überquert
eine Brücke, die von neuem zwei Länder scheidet.'
Wir, die Österreicher, sind ein lebenslustiges Volk,
sagt er, wir österreichischen Menschen haben einen
offenen, freien Blick, wie man ihn in Deutschland
vergebens sucht. Dort scheut sich jeder, den Fremden
in die Augen zu schauen und möchte mit allen Mitteln
eine Äußerung des Mitleids herauslocken."
"Ja", der Schaumberger hob seine schwere Linke, "wir
Österreicher sind wieder lebensfreudig."
"Wir Österreicher sind stolz auf unseren Boden", trug der
Lehrer weiter vor, "das bestätigen uns sogar die
Besatzungsmächte, anders als die Deutschen lieben wir
unser schönes Land, weil wir jetzt die verloren gewe-
sene Freiheit wieder aufbauen dürfen."
Ferdinand, sein Kopf gegen die Fensterscheibe gelehnt,
er sagt kein Wort jetzt. Gestern war seine Miene
voller Leben, im Schatten unter der Weide, im
Flimmerschatten auf der Böschung, als er zu mir geredet
hat, die ganze Zeit...
"Und ich bin ein Lehrer, habe ich zu mir gesagt", der
Lehrer sprach mit hochgeschobenem Kinn, gespanntem
Hals und hart gesetzten Lauten, "und als einen
solchen braucht man mich, am besten auf dem Land,
dort wo die Wurzeln unserer Heimat sind.
In der Stadt ist der Sumpf der Vergangenheit
noch nicht trockengelegt, und schon wieder werden
die Menschen verführt. Auf dem Land
sind sie trotz allem noch unverbraucht und
tapfer. Sie müssen nur lernen, aus sich
selber zu schöpfen, aus ihrem reichen Innenleben."
Der Ferdinand ist müde, fahl sein Gesicht
im Licht des Fensters, heller Flam wächst um
seinen Mund; der Ferdinand mit geschlossenen Augen,
mit gewölbten Augendeckeln, einer der nach innen
schaut, kaum daß er atmet.
Hör nicht auf den Lehrer, Ferdinand...
(S. 253f.)
©1999, Mandelbaum, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.