Theresa schaut vom Bett aus zum Fenster, durch den Vorhangspalt dringt ein rötlicher Schein ins Zimmer. Immer wieder geht sie in Gedanken die Szene durch, wie sie Peer aus einigen Metern Entfernung fixiert, dann auf ihn zutritt, bonjour sagt und ihm die Hand entgegenstreckt. Es ist unmöglich, sie will es nicht tun, nicht so. Aber wie sonst? Sie ertappt sich mit einem Mal bei dem Gedanken an ein Wochenende am Strand. Sie könnte nach Palavas-les-Flots fahren, schwimmen gehen und anschließend irgendwo einkehren, Muscheln, vielleicht Austern essen. Gegen Abend könnte sie auf dem Strand barfüßig nach Maguelone hinauswandern, sie liebt diesen Ort, die von kräftigen Bäumen umgebene, auf die Lagune gebaute Festungskirche, in der sie einen Schauer verspürt hat, als man ihr sagte, dass dort eine Menge Tote hausen sollten. Sie sieht die Weinreben, die das Gelände der Maguelone umgeben, hier wächst der Wein auf Sand und fast bis zum Meer, er gedeiht gut. Weiter draußen liegt der Etang de Pierre Blanche blau vor ihr, Gräser wiegen sich im Wind und Vögel kreisen über dem Idyll aus Wasser, Sand und wilden Gewächsen.
Sie könnte es auch lebhaft haben und la Grande-Motte aufsuchen, zuerst auf der Mole spazieren gehen, sich die Yachten anschauen und eine Schiffsreise planen, später in die Geschäftsstraßen eintauchen, in belebten Lokalen untertauchen. Sie könnte sich dort bei jemandem fallen lassen oder sich einsam betrinken und vergessen. Sie möchte irgendetwas tun, um ihre eigenen Pläne zu durchkreuzen, um sich selbst, ihrer Pflicht, ihrem Vorhaben zu entgehen. Eng ist ihr Leben geworden, reduziert auf eine einzige Tat, auf eine einzige Person, eine letzte große Leistung. Die Angst vor dem, was der nächste Tag bringt, durchzieht sie in einer scharfen, bitteren Spur.
Aber sie wird nicht aufgeben jetzt. Sie will da durch. Sie muss unbedingt. So kurz vor dem Ziel wird sie doch nicht umkehren. Warum Angst? Sie hat nichts zu verlieren. Sie wird einfach. Augen und zu. Ankommen. Locker über die Zielgerade gehen. Sie vergibt sich ja nichts und ein Wochenende am Meer ist das Allergewöhnlichste, es muss sie nicht reizen. Er wird auf sie warten. Ganz sicher wird er. Weil er neugierig ist. Wenn er verstanden hat, ist er neugierig. Und wenn er nichts begriffen hat, so ist er jedenfalls zu Hause. Weil alte Männer am frühen Nachmittag nicht ausgehen, nicht bei dieser Hitze. Da ist Siestazeit, man legt sich nach dem Mittagessen auf die Couch, döst unter dem Ventilator, gesättigt und entspannt. Vielleicht denkt er gar nicht mehr an sie. Sobald sie vor seiner Tür steht, wird sie gleich herausrücken mit der Sprache. Dann kann er gar nicht anders als sie einladen, kein Mensch könnte da etwas anderes. Wie sollte er sich verweigern? Sie hat Beweise, sie kennt ihn nicht, aber seine Geschichte kennt sie.
(S. 24f.)
© 2009 Folio Verlag, Wien/Bozen.