Ich soll über den Frieden schreiben, dabei gehöre ich selbst zu jener Gruppe, die als Bedrohung des Friedens angesehen wird: zu der Gruppe der Migranten, der Fremden, der Ausländer. Lange Zeit war der einzige Beweis meiner Existenz ein maschinegeschriebenes Blatt Papier mit einem Foto darauf, das vor einer der Wände im Lager Traiskirchen von mir gemacht wurde. Aber was soll's? Die Existenz eines Autors war immer schon von Papier abhängig. In den 17 Jahren, die ich hier verbracht habe, wurde im Fremdenrecht ein Gesetz nach dem anderen erlassen, und jedes hatte allein den Zweck, Leuten wie mir den Aufenthalt so schwer wie möglich zu gestalten. Dass ich noch immer hier bin, verdanke ich weder dem Gesetz noch dem Staat. Das Glück, dass in all diesen Jahren meine Existenz nicht zerbrochen ist, dass ich nicht verzweifelt bin, dass ich überlebt habe, verdanke ich jenen unendlichen, ungeahnten Ressourcen an Güte und Barmherzigkeit, die jenseits des Rechts und sogar, ohne dieses Recht zu brechen, jeder Person zur Verfügung stehen. Ich verdanke es einzelnen Personen, ich verdanke es der Macht der Einzelnen. Eine Macht, die unabhängig ist von Herkunft, Beruf und gesellschaftlicher Stellung. [...]
(Wie sicher ist der Frieden in Europa?, S. 71f)
© 2010 Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg.